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Ob er dazu Lust hatte?
Er hatte keine. Er hatte nicht den Mut nach Lösungen zu suchen. Er war mißmutig, unmutig, übel gelaunt. Dazusitzen und zu sinnieren! Pah! Also wirklich! Er konnte sich Sinnvolleres vorstellen, als das Kinn auf eine Hand gestützt, den Ellbogen auf der Schreibtischplatte zum Fenster hinaus zu starren. Und dennoch...
...sein Schreibzeug fiel ihm aus der Hand...

[...]

Die Römer verdrängten die Etrusker, die Amerikaner die Indianer. Und diese stammten ab von jener Hochkultur der Anasazi, die es sogar fertiggebracht hatte, Hochhäuser mit fünf und mehr Stockwerken zu bauen, ja, Städte aus solchen Hochhäusern, in denen mehrere tausend Leute zusammen wohnten. Und wer solche Städte baute, mußte die Bewohner auch mit allem Lebensnotwendigen versorgen können, Nahrung, Wasser, Kleidung, was nicht nur ein technisches Problem ist, nicht nur ein organisatorisches, sondern auch ein gesellschaftliches.
Doch all dieses Talent kultureller, gesellschaftlicher Organisation half den Nachfahren dieser Anasazi wenig. Die Weißen vernichteten zuerst die Nahrungsquellen der Indianer, die ja nicht nur vom Büffelfleisch lebten, sondern auch einen Großteil der Dinge des täglichen Lebens aus Büffelprodukten herstellten, Kleidung und Decken, Riemen und Zeltplanen, Pfeilspitzen und Zaumzeug... Und schließlich knallten die weißen Eindringlinge die Indianer selbst ab, wie später, als die Indianer ausgingen, die zu Zielübungen auf Steine gestellten Cola-Dosen.
Alfred schauderte. Er hatte noch nie Leute gemocht, die ihr Selbstwertgefühl auf Waffen bauten. Das ging bei ihm sogar so weit, daß er so etwas wie Abscheu gegenüber Leuten empfand, die an Jahrmarktbuden mit ihren Schießkünsten protzten. Er selbst hatte noch nie ein Gewehr, auch kein Schießbuden-Luftgewehr, in die Hand genommen.
Aber sie schießen ja überall auf der Welt, dachte Alfred. Nicht zu Zwecken der Jagd und der Nahrungsbeschaffung: sie schießen aufeinander. Und es macht ihnen offensichtlich soviel Spaß wie an der Schießbude.
Das Töten war ja so einfach geworden. Niemand mußte mehr selbst an den Gegner heran, niemand mußte mehr dem Feind in die Augen sehen, während er ihn 'von Hand' abschlachtete, ihm das Messer durch die Kehle zog, den Spieß in den Körper rammte und durch die Gedärme wühlte, bis diese ihre Zusammenarbeit aufgaben und so den Tod des Feindes herbeiführten. Niemand mehr mußte dem Gegner eigenhändig den Morgenstern auf den Schädel schleudern, den Kopf abschlagen...
Nein, nein. Es genügte ein Druck mit dem Zeigefinger und hundert Meter weiter fiel ein anderer Mensch mit kurzem Aufschrei nach hinten - wenn er überhaupt noch schreien konnte.
"Kein Kaffee mehr da", sagte Angie, und Alfred zuckte erschrocken zusammen, weil er sie nicht hatte herankommen hören, so vertieft war er in das Beschreiben schrecklicher Dinge gewesen.
Auch im Fernsehen redeten sie vom Töten und vom Krieg. Angie hatte die Tagesschau angestellt. Ein Flugzeug war entführt worden und religiöse Fanatiker versuchten das große Amerika zu erpressen, indem sie die Passagiere zu Geiseln gemacht hatten.

Die Atlanter hatten den Flugzeugträger Maahn vor die Küsten Irians beordert und versuchten nun, die Irianer durch Beobachtungsflüge mit Kampfflugzeugen und durch Scheinangriffe auf Handelsschiffe vor Irians Küsten einzuschüchtern. Ein Flugzeug hatten die Atlanter bereits verloren, als es bei einem Landemanöver durch plötzlich auftretende Scherwinde die kurze Landebahn auf dem Träger Maahn verfehlte und ins Meer gestürzt war. Der Pilot war ums Leben gekommen.
'Khir's Inghee warnt Sinian' lautete die Schlagzeile der Nachrichten. Sinians Einfluß auf die religiösen Fanatiker, welche Atlanter als Geiseln genommen hatten, war nicht nur eine unbewiesene Vermutung in Atlantis, er entsprach bis hin zur Bewaffnung religiöser Kampftruppen den Tatsachen. Und es entsprach ebenfalls den Tatsachen, daß gewisse Kreise in Irian darauf verzichteten, auf die Geiselnehmer mit staatlichem Druck Einfluß zu nehmen, weil sie ein bewaffnetes Eingreifen von atlantischer Seite geradezu erwünschten. Denn alleine waren die noch Mächtigen Irians zu schwach, dem wachsenden Druck Sinians standzuhalten. Andererseits schien es in Atlantis Kreise zu geben, denen solche Anlässe, wie die Geiselnahme nicht ungelegen kamen. Afra, Indra und Irian hatten einst alleinig zur atlantischen Einflußsphäre gehört, und dieser Einfluß sollte nicht kampflos aufgegeben werden. In den Augen dieser kampflüsternen Berater des P'haro Rhee'n Ennaton war Sinian auch nichts anderes als eine abtrünnige Überseekolonie, die nun versuchte, sich den anderen Weg um den Erdball herum auszudehnen. Dies galt es zu bremsen und, wenn möglich, zu verhindern, denn natürlich stieß Sinian bei dieser Ausdehnung auf die äußeren Grenzen des alten atlantischen Reiches.
Es war zwar schon Jahrhunderte her, daß das erste und alleinige Reich von Atlantis auseinander gebrochen war, doch immer noch standen sich die 'Brüder' unversöhnlich gegenüber.

Alfred schüttelte die Gedanken ab, denen er nachgehangen hatte.
'Welches Rätsel?', las er auf dem Blatt Papier vor sich, 'das Rätsel des Lebens natürlich'.
Weshalb hatte er das geschrieben? Welchen Gedanken hatte er versucht zu fassen? Alfred bemühte sich angestrengt, aber er konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern.
Diese Tagträume, dachte er, diese Tagträume, denen ich eben nachhing, die hätte ich aufschreiben sollen. Aber dazu bin ich wohl nicht in der Lage. Nicht mehr.
Früher, grübelte er, früher, da hätte ich keine Schwierigkeiten gehabt, da hätte ich das gekonnt zu Papier gebracht. Aber seit ich diesen verdammten Tee verkaufe und jeden Tag in diesem vermaledeiten Laden stehe, ist mein Verstand total eingerostet.
Ich muß da raus!, schrieb er in großen Buchstaben auf das fast leere Blatt Papier vor sich.
Seinem Unmut Ausdruck gebend stieß Alfred sich in seinen Drehstuhl heftig vom Schreibtisch ab und ließ sich durch das halbe Zimmer rollen, bevor er aufstand.

[...]

'Man möchte fliehen', schrieb er schließlich in sein Notizbuch, als er in der Eisdiele vor einer bereits leeren Tasse Kaffee und einem Campari-Orange saß. Doch dann geriet er erneut ins Sinnieren. Er schaute den Menschen zu, die durch die Fußgängerzone flanierten: junge Männer in sportlicher Freizeitbekleidung, kichernde Mädchen in Gruppen zu zweit oder mehr, ein Mädchen mit einem fast ebenso großen, verhüllten Cello, verliebte Paare, Vater mit Sohn, Rentner...
Es war immer noch ziemlich schwül, auch wenn die Sonne sich hinter einen Dunstschleier verzogen hatte. Der Abend hatte gerade erst begonnen und so waren ziemlich viele Menschen unterwegs.
Alfred schaute hinauf in den Himmel, wo ein Segelflugzeug seine späten Kreise zog und in einer schwachen Thermik nach oben schwebte.
Der hat es einfach, dachte Alfred, setzt sich einfach in seinen Flieger und entflieht dem Alltag, flüchtet sich in den Himmel.
'Fliehen sollte man können'.
Alfred starrte auf den niedergeschriebenen Satz, sog dabei gedankenverloren am Strohhalm, der in seinem Campari-Orange steckte.
Man müßte weg von dem ganzen Druck, weg vom Trott, ausbrechen aus dem Gefängnis, das sich Lebensalltag nennt.
'Ich muß weg von meinen Gefühlen, raus aus mir!', schrieb er unter seinen Fluchtgedanken. 'Wenn es doch nur so einfach wäre, in eine andere Person zu schlüpfen, in eine andere Welt. Ich wäre längst weg. Wenn...
Ich wüßte schon eine Welt zu erfinden.
Ja?
Wirklich?
Wüßte ich das?
Und: könnte ich eine solche Welt handhaben? Könnte ich sie einfach kontrollieren durch die Kraft meiner Gedanken, meiner Phantasie?
Es müßte eine Welt sein ohne Angst, ohne Töten, ohne Bedrohung, ohne Krieg.
Ja?
Wie denn?... ...
Wie langweilig.
Was würde ich machen mit den bösen Individuen in meiner Welt, mit den dunklen Gestalten, dem Bösen an sich, dem Bösen in mir? Nein. Auch in meiner Welt gäbe es wohl Töten und Angst. Aber dort wären sie nicht real, lediglich das Salz in der Suppe, etwas, das ich selbst dosieren könnte, wie es mir beliebte, denn alles in meiner Welt müßte tun, was ich wollte, selbst das Böse. Schließlich wäre ich der Schöpfer dieser Welt. Gott in der Suppe...

[...]

Sirikin hatte von diesem Zug eigentlich Besseres erhofft.
Sie starrte auf den Schleier in ihrer Hand.
Von einem Zug durfte man wohl nicht mehr erwarten. Immerhin. Es war besser als in einem Flugzeug. Dort saß man nebeneinander wie in einem Omnibus für die Armen. Hier im Zug konnte sie wenigstens eine eigene Kabine bewohnen. Es wäre ihr auch schwer gefallen, in ein Flugzeug zu steigen, nachdem R'hanmar durch solch eine Maschine zu Tode gekommen war.
Schade, dachte sie und lächelte. Er war trotz allem ein netter Kerl gewesen. So hätte er nun auch nicht zu enden brauchen...
"...wie oft habe ich darüber schon...
...aber was hatte ich schon davon ...
...einen anderen Namen, sonst nichts: Skyjlovee... na ja..."
Schwesterchen Inigo hatte es auch nicht besser getroffen.Dieser Überintelektuelle, mit dem sie verheiratet war, dieser Isnah Beltroda..., vielleicht tut der aber auch nur so, ...der so fest an traditionell Überkommenem festhält. Er hält das für fein.
Ich könnte mit mir selbst eine Wette eingehen, daß er zu diesem Lichterfest, das er R'hanmar zu Ehren veranstaltet..., wieso eigentlich er?, ...die ganze Familie zusammenholt. Ja, ja. Das gewisse Etwas der etwas feineren Familien.
Isnah. Pah! Der ist so blasiert, daß er seinen eigenen Namen nicht mehr schreiben kann. Be'hilt R'hoda- Beltroda! ...Kichern... Dabei hat er es zu nichts weiter gebracht, als zu einem Büroangestellten. Ihm werde ich Trauer vorspielen müssen, dachte Sirikin. Die Requisiten habe ich ja. Schleier und weiße Kleidung.
Wenn nur dieser Schleier nicht wäre. Ich glaube, ich werde ihn ein wenig kürzen, einfach ein Stückchen abschneiden. Morgen, wenn ich in Rongan Aufenthalt habe. Und wenn Isnah blöde schaut, werde ich einfach sagen, es wären eben so viele Leute scharf auf einen Faden aus meinem Schleier gewesen.
Sirikin kicherte, als sie sich Isnahs Gesicht vorstellte. Er würde sein Mißfallen über solche Ausdrucksweise zwar nicht aussprechen, nicht wenn andere Leute dabei waren, aber es würde ihm ablesbar im Gesicht stehen. 'Scharf auf einen Faden'. Alles würde sich in Isnah sträuben.
Egal, dachte Sirikin entschlossen, morgen kommt ein Stück weg. Sie legte den Kopf aufs Kissen und schloß die Augen, dachte an Isnahs dummes Gesicht, daran, daß sie wenigstens Re'htlaw sehen würde, wenn Isnah schon den ganzen Clan zusammenrief.
Flüchtig ging ihr durch den Sinn, daß Züge früher über zwei Schienenstränge gerattert und nicht schwankend und schwebend über einer Mittelschiene dahingeflogen waren. Das Rattern hatte einem mit seiner Eintönigkeit Schlaf gebracht. Wie aber sollte man bei diesem hellen Singen vorbeizischender Luft einschlafen?
Schlafen!
Re'htlaw, Lieber...!
Schlafen.
Wusch. Husch!
Schlafen. Träumen.
Gesichter. Ffee Erfa'un. Hochgewachsene strenge Gestalt in Uniform. AshRa. Lärm einer Großstadt.
Träumen.
Wieder Ffee Erfa'un, Inhaberin des F'hel'han der atlantischen Luftwaffe in AshRa. "Wir trauern mit Ihnen um den Tod eines großen Kriegers, Ihren Mann, Ch'eijna."
Ich bin keine Ch'eijna... Aber das kann ich dieser Frau nicht sagen. Sie würde es nicht verstehen. Ich werde nie eine Ch'eijna werden! Ich bin doch keine Atlanterin, nur weil ich die Frau von R'hanmar Skyjlovee wurde.
Ffee Erfa'un. Steif. Militärisch. Ja. Sie war eine Ch'eijna. Atlantisch, wie alles auf AshRa-Basis, am Rand der Ebene über dem Mittelländischen Tiefland, wo R'hanmar stationiert war, bis sie ihn auf diesen vermaledeiten Flugzeugträger Maahn versetzt hatten.
Manchmal bin ich den Verdacht nicht losgeworden, daß R'hanmar sich absichtlich hat versetzen lassen. Sechs Jahre ist das jetzt her. Sechs Jahre, in denen die kleine Sirikin allein war, allein in diesem schrecklichen AshRa, dieser Riesenstadt, die ausschließlich für die Anwesenheit der Atlanter lebte, größter Handelsplatz am Rande der Hölle.
Die 'Hölle', so nannten die Atlanter die Tieflande. Keiner der Eroberer hatte sich damals hinunter getraut, als Atlantis auf der nördlichen Seite in Almana und auf der südlichen Seite in Afra seine Kolonien errichtete. Zu Tausenden waren Einheimische - Rebellen, Gauner, Deserteure - vor der Macht des großen Atlantis in die 'Hölle' entflohen, immer auf der Hut vor den Häschern jenes Ersten Reiches, das seine Machtfülle noch nicht mit abtrünnigen Kolonien wie Sinian zu teilen hatte. Doch die Häscher hatten sich nie weit genug in die Täler und wüsten Ebenen des Tieflandes vorgewagt, um dem Staatsgebilde, das dort unten allmählich entstand, gefährlich zu werden. So war Kretaia bis heute ein unabhängiges Gebiet. Ein Gebiet allerdings, das außer Sonne, Hitze, Salz, Sand und Dienstleistungen für Urlauber nicht viel zu bieten hatte. Kretaia war immer abhängig gewesen vom Wohlwollen der umliegenden Länder und damit vom Wohlwollen Atlantis'.
"Sechs Jahre, das ist eine lange Zeit, verehrte Ch'eijna Erfa'un. Lange genug, um einen Ferien- und verlängerte Wochenenden-Mann zu vergessen."
"Schade, Ch'eijna Skyjlovee, daß Sie keine wirkliche Ch'eijna sind, keine wirkliche atlantische Edelfrau. Dann nämlich wäre der Ausdruck Ch'eijna keine Beleidigung für Sie. Als Atlanterin wären Sie so von sich eingenommen, daß Sie nicht einmal bemerken würden, wie man Sie beleidigt. Einem Atlanter fällt es aus Prinzip nicht auf, wie Danai-Sklaven oder die verarmten Verwandten, jene Nachkommen abtrünniger atlantischer Kolonien, die sich jetzt Nealmaner nennen - neue Almanair... lachhaft ..., wie all diese Leute das Ch'eijna aussprechen und damit seine Frau beleidigen."
"Da haben Sie recht, Ch'eijna Erfa'un. Einer Atlanterin ist es egal, wie dieses Wort hier ausgesprochen wird."
"Verehrte Anwesende!
In all den Jahren der sogenannten Freiheit und Unabhängigkeit, ist dieses Almana doch nichts anderes gewesen und geblieben als eine Kolonie!, ein vorgeschobener Posten seiner Erhabenheit P'haro Rhee'n Ennaton Truppen gegen die Horden aus der Dsungla im Osten, ein Bollwerk gegen die Versuche des abtrünnigen Sinian, unsere Errungenschaften von Zivilisation..."
Und ich dummes Mädchen muß darauf hereinfallen und R'hanmar heiraten.
Karussells und Buden. Jahrmarkt und atlantische Freundschaftswoche. Inigo und ihr trotteliger Landadeliger. Wenigstens dessen Bruder ist ein normaler Typ, auch wenn er einen atlantischen Vornamen trägt: Re'htlaw. Er singt in einer Band.
LhomRon. Noch ein Musiker aus der Band.
Nacht.
LhomRon, der Musiker. Eigentlich sollte er seinen Militärdienst in AshRa ableisten. Aber die Basis ist groß und atlantische Ausbilder lassen sich bestechen, besonders wenn die Familie des Militärpflichtigen reich ist und wenn Vater oder Großvater, vielleicht auch beide, einflußreiche Männer im Hohen Rat des P'haro sind.
Und da ist noch ein Flieger. Er ist süß. Er heißt R'hanmar und ist anscheinend der Cousin von LhomRon. Er trägt denselben komischen Namen: Skyjlovee.
Oh, sieht er gut aus. Sehr gut! Und er ist lieb. So lieb.
"Sirikin! Was machst du denn?!"
Erschrecken. Abwehrende Handbewegung. Umdrehen und R'hanmar küssen. "Hhmmmm." Seine Arme um mich...
"Wie heißt du?"
"Auch Skyjlovee. Ist das nicht lustig? LhomRon ist mein Vetter. Er wird eines Tages noch berühmt werden. Ich weiß es."
"Und du? Wirst du auch berühmt?"
"Ich? Ich bin R'hanmar der Flieger. Ja. Ich werde auch berühmt. Ich werde als erstes Opfer des kommenden Krieges mit meiner Maschine abstürzen. Aber zuvor fliege ich mit dir um die Welt, ohne anzuhalten, immer rundherumrundherumundherum." Das Karussell. Inigos Hochzeit war nichts dagegen.
Isnah Beltroda. Ein Mann aus guter Familie!
Mama wollte das Wort 'Landadel' nicht aussprechen. Offiziell gibt es im Bund der Städte keinen Adel mehr, seit die Adelshäuser durch den Senat entmachtet wurden.
Aber in Atlantis ist der Landadel noch hochkarätig. R'hanmars Großvater sitzt im Hohen Rat des P'haro.
Sirikin Skyjlovee: alter atlantischer Landadel. "Na, wie klingt das?" Ch'eijna Skyjlovee.
"Haben alle Leute in Atlantis solch lustig klingende Namen, R'hanmar?"
"Natürlich geben Ihnen die atlantische Streitkräfte jegliche Hilfestellung bei Ihrem Umzug in die Heimat."
"Aber ich bin in Almana geboren! Was soll ich in der Wüste?" "Atlantis ist nicht überall Wüste, Ch'eijna. In Azzhor zum Beispiel, dem Wohnsitz der Familie Ihres Mannes, da..."
"Atlantis hin und wieder zurück. Nie!"
Nein,nein.
Dann hätte ich Re'htlaw ja niemals näher kennengelernt, wenn ich nach Azzhor gegangen wäre. "Sperrt ihr immer eure Frauen auf euren Familiensitzen ein, R'hanmar?"
"Nur die Schönheiten."
"Wer hat mich denn getröstet, als du auf deinem verdammten Schiff warst, R'hanmar? Wer denn? Wer?!"
"Hast du dich mit diesem Musiker eingelassen, Kind?"
"Ach Mama, das verstehst du nicht. Du bist nie aus AshRa hinausgekommen.Wenn mir mein Schwager Re'htlaw gefällt, dann..." Ich bin atlantische Bürgerin. Verstehst du?!
"Pahh! Und du hast Atlantis noch nie gesehen."
"Aber R'hanmars Familie ist nicht kleinlich gewesen."
Die Türe schlägt zu. R'hanmar geht den Kiesweg hinab zur Straße. Über Rasen und Zierpflanzen hinweg sieht man im Dunstschleier die Stadt. Im Süden hängt die weiße Wolke aus Wassertröpfchen über dem Delta des D'hijin, der dort in weiten Kaskaden und Wasserfällen hinunterstürzt in die Täler der mittelländischen Tiefe, heißes, tief zerklüftetes Land aus Schluchten und schwer zugänglichen Felsgebirgen..., irgendwo dahinter eine gleißende Ebene aus salzigem Sand, Salzseen, Wüsten.
"Am Dsinnhi würde es mir viel besser gefallen, R'hanmar."
"Mach dich nicht lächerlich. Du lebst hier in bevorzugter Wohnlage über der Stadt. Nicht jeder Flieger kann das seiner Ch'eijna bieten. Die anderen wohnen nicht freiwillig direkt neben der Rollbahn. Du kannst auch nach Azzhor übersiedeln, Sirikin. Willst du dorthin?"
R'hanmar stieg in einen silbernen Vogel, und mit Donnergetöse von ausgestoßener Luft ging das Ding in die Höhe, wurde kleiner und kleiner und...
R'hanmaaaaar!!!"
"Was hast du, Kleines?"
"Oh, nichts, Re'htlaw. Ich habe geträumt, R'hanmar stünde unter der Türe und habe uns erwischt, im Bett. Aber er machte mir nur Vorwürfe, weil ich mich über das Haus beklagt hatte. 'Ich könne ja nach Atlantis zu seiner Familie übersiedeln...'." Schnauben. Protest. Dann Lachen. Glucksendes Lachen.
Knirschen von Schritten auf dem Kiesweg. Da kommt wirklich R'hanmar." Verschwinde! Du gehörst auf dein Schiff! Re'htlaw hatte heute Abend ein Konzert hier in AshRa, zusammen mit deinem Vetter LhomRon."
"So? Ich dachte, die beiden hätten sich getrennt."
"Nein, nein. Sie haben zusammen Konzerte gegeben.. Gestern, vor dem Tempel, auf dem Berg Korsh, der sich aus der Mittelländischen..."
Wieso schaut er so? Glaubt er mir nicht?
"Sie haben es sogar im Fernsehen übertragen. Hast du es nicht gesehen? Und da ist Re'htlaw eben schnell herüber gekommen, mich zu besuchen. Direkt vom Berg Korsh, mit all seinen Stieren. Wußtest du eigentlich, daß die Stiere nur dort oben überleben können. Es ist dort kühler als in der Hitze der 'Hölle', wo sich an den Salzseen nur Verrückte und entflohene Afra-Sklaven tummeln."
Millionen sind es geworden, denen in all den Jahren Exil der Verstand ausgetrocknet sein muß. Aber Kretaia ist schön.
"Fliegen wir nach Kretaia, R'hanmar? Ach, ich vergaß, du mußt ja zurück auf dein Schiff Maahn.
Maahn.
Maahn.
Maahn.
"Du warst nur für ein Wochenende hier? Na gut. Re'htlaw nimmt mich mit nach Kretaia, wenn er zurückfliegt, zum Tempelberg. Er zeigt mir die Stiere und die Salzseen."
Salzseen, in denen sich flimmernd das Sonnenlicht brach. Grell und heiß. Gleißen von Sonnenlicht. Weiß. Weiß!
Die Augen tränten.
Blinzeln.
Oh, es ist hell!
Habe ich geträumt? Sehr schlecht geschlafen habe ich.
Es stimmt. Man kann schlecht schlafen in den Zügen, obwohl es hier sicher besser ist und ruhiger, als in den alten Eisenbahnen mit ihren rüttelnden Rädern.
Sirikin setzte sich auf und schaute an sich herunter. Sie war in ihren Reisekleidern eingeschlafen. Immer noch hielt sie den Schleier in ihrer verkrampften Hand. Angewidert legte sie ihn beiseite und stand auf.
Was für ein schreckliches Zeug ich da zusammengeträumt habe, dachte sie, und konnte sich, als sie es versuchte, schon an fast nichts mehr erinnern.
Ihr Blick fiel auf das Frühstück, das auf einem kleinen Rolltischchen bereit stand. Der Kabinenservice mußte es hereingebracht haben.
Draußen huschten immer noch Landschaft und - husch, wusch - Signalmasten vorbei. Wieviel Zeit ihr wohl bliebe, bis der Zug in Rongan einlief, überlegte sie, und, während sie an einem Fruchtsaft nippte, wie sie es wohl am klügsten anstellen könnte, den Schleier unauffällig zu kürzen.
Aufsetzen muß ich das verdammte Ding, bevor der Schaffner kommt. Sklavenhalter!, fluchte sie in Gedanken, ist diese Trauerkleidung unbequem. Eine Belästigung aller trauernden Witwen ist das. Eine blöde Tradition. Ja, entschloß sie sich, ich werde einfach ein Stück vom Schleier abschneiden, damit es nicht zu lange dauert, das Ding loszuwerden. Inigos Mann wird doch hoffentlich nicht annehmen, daß ich diesen Schleier trage, bis er Faden für Faden, Beileid für Beileid gezogen sich in Nichts auflöst?
Doch, genau das wird er.
"Traditionen sind niemals eine Belästigung", würde er sagen. Sirikin konnte es richtig hören, so genau konnte sie sich ihren Schwager vorstellen.
"Jawohl, Herr Beltroda!", murmelte sie.

[...]

"Tja", sagte Doktor Radelack und griff nach seinem Rezeptblock.
"Gegen meine miese Stimmung werden Sie wohl nichts machen können", redete Alfred weiter, "aber gegen meine ständigen Kopfschmerzen könnten Sie mir doch etwas aufschreiben."
"So einfach ist das nicht", erwiderte der Doktor, "aber... Er blätterte kurz in einem Buch das immer griffbereit neben dem Rezeptblock lag. "Ja, die gibt es zu fünfzig Stück", murmelte er und, "ich schreibe Ihnen hier etwas auf", fuhr er an Alfred gewandt fort, "etwas, das Ihnen möglicherweise weiterhilft. Nehmen Sie bei Bedarf abends eine und morgens zwei Stück. Das hilft Ihnen beim Durchschlafen. Wohlgemerkt, es ist kein Schlafmittel, das ich Ihnen hier aufschreibe, sondern ein Präparat, das Ihre gesamte Stimmung etwas aufhellt - und, es wird wohl, weil es auch entspannend wirkt, Ihre Kopfschmerzen lindern, wahrscheinlich sogar ganz verschwinden lassen." Er reichte das abgerissene Rezeptblatt über den lederbezogenen, großen Schreibtisch.
`Lexothanil', las Alfred, faltete den Zettel zusammen und steckte ihn in die Gesäßtasche seiner Jeans, bevor er sich von Doktor Radelack verabschiedete. "Danke Doktor. Mal sehen, ob's hilft."
"Wenn es nicht bewirkt, was wir erwünschen, dann kommen Sie ruhig wieder vorbei. Vielleicht nützt es ja, wenn wir einfach darüber reden, wie Sie sich fühlen. Den Eindruck hatte ich heute", meinte der Doktor und erwiderte Alfreds Händedruck. "Auf Wiedersehen."
"Was für ein hübsches Bauwerk", rief Odeen Toba aus und klatschte in die Hände. Der Steinbau mit dem blauschimmernd gedeckten Dach stand auf einem kleinen Hügel inmitten der Ansiedlung, die man vom Hang der nächstgelegenen Anhöhe im gesamten überblicken konnte.
Der Fahrer des großen Überlanders murmelte fluchend vor sich hin, weil er von Odeens Ausruf abgelenkt aus der ausgefahrenen Spur geraten war, und das Fahrzeug heftig zu schwanken begann. Im hinteren Teil, dem Frachtbereich, klapperten einige Metallgegenstände, gackerten aufgeregte Hühner in ihren Transportkäfigen. "Wie bitte?", fragte er.
"Das Gebäude da, mitten im Dorf, es ist herrlich. Das war..."
"...der Tempel von Dishni, ja", fiel ihm Ivo Kenna, der Fahrer des Überlanders ins Wort. "Sie werden es gleich sehen, wenn wir ankommen", fügte er hinzu. "Es ist ungefähr 700 Jahre alt. Stammt noch aus der alten Zeit, von den ersten Kolonisten."
"Das dachte ich mir", meinte Odeen. "Was so aussieht, kann nur..."
"Gleich hinter der nächsten Ecke ist der Tempel wieder zu sehen. Dann kommen wir auf den Dorfplatz." Der Überlander schwankte zwischen dichtgedrängt stehenden, typischen Dorfhäusern aus Glas und rohem, weißgekalktem Stein auf einer schlecht befestigten Straße dahin. Der Anhänger rumpelte, hüpfte mehr als er fuhr über die vielen Schlaglöcher im Pflaster. "Habe schon manchen Städter wegen solcher Bauten auf die Dörfer gefahren, Herr", setzte der Fahrer das Gespräch nach kurzem Zögern fort. "Es gibt noch einige andere hier in der Gegend. Ein paar davon... da ist er!..."
Ivo Kenna lenkte das schwere Gefährt auf den Dorfplatz, wo sich für eine ländliche Siedlung ziemlich viele Menschen aufhielten. "Einige der Tempel werden heute wieder benutzt", sagte Ivo.
"Für den alten Glauben?"
"Ja, Herr. Auf dem Lande halten die Leute nicht viel von Ra in der Sonne."
"Nicht 'in' der Sonne, mein Guter. Ra 'ist' die Sonne", erklärte Odeen gönnerhaft. "Die Sonne ist Spenderin allen Lebens, deshalb..."
"Ich glaube halt nicht daran, Herr, deswegen verzeihen Sie mir bitte den Fehler."
"Aber sicher."
"Wenn es Sie interessiert, Herr", sagte Ivo, während er den Überlander direkt unterhalb des Tempels an einer Steinmauer zum Stehen brachte, "ich stamme aus einem Ort, nicht weit von hier, Neres. Da gibt es ein noch viel größeres Tempelgebäude. Es ist allerdings nicht mehr so intakt, wie dieses hier.

Und die Asche des Himmels... ISBN 978-3-921685-03-7 product verlag Schwäbisch Hall / Books on Demand