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1090 Jakob und Gosbert


Jakob zog die Schnur aus dem Fluss. Der Zweig hatte sich bewegt. Doch nein, der kleine Wurm, den er dort am Ende der Schnur auf das spitze Stück eines Knochens gespießt hatte, war noch dran. Er wickelte die Schnur noch einmal mehr um den Zweig und warf seine Angel zurück in den Fluss. Irgendwann würde schon ein Fisch anbeißen, und den würde er dann Mutter bringen, die ihn für ihn und seine Geschwister braten würde. Er bückte sich, suchte nach einem größeren Stein, unter den er seine Schnur klemmen konnte. Die Schnur ständig in der Hand zu halten und damit immer wieder am Ufer auf und ab zu gehen, wie das sein Freund Gosbert machte, dazu hatte er keine Lust.

Er hatte gerade einen Stein gefunden, gleich vorn an der Furt hinüber zum Unteren Wöhrd, da wo der Lindbach in den Kocher mündete, der jetzt am Ende des Sommers nur ein kleines Rinnsaal war, da hörte er auf dem Weg, der von der Steige her durch die Gärten der Siedersknechtfamilien führte, Pferde und zwei Männer, die sich unterhielten und lachten. Die Reiter hielten vor der Furt an, schienen sich über etwas zu freuen. Vielleicht über ihre gute Jagd, denn hinter den Herren lag jeweils ein Reh auf den Pferderücken und seitlich hingen bei einem der Pferde zwei tote Hasen. Die beiden lachten wieder über etwas, das Jakob, der sich ein paar Schritte von der Furt entfernt hatte, nicht verstand. „Und du meinst wirklich, Heinrich?“

Aber ja doch! Die beiden Mädchen des Baders sind sehr liebreizend.“ Der Heinrich genannte stieg von seinem Pferd. „Aber bevor ich hinüberreite, muss ich mich erst erleichtern.“ Der andere Mann tat es seinem Jagdkumpanen gleich, stieg vom Pferd. Er sah den Jungen, der am Flussufer anscheinend mit Steinen spielte. „“He, Bub, tu‘ was für dein täglich Brot!“, rief er. Jakob schaute zu ihm hin, erhob sich von seinen Knien.

Wie heißt du?“

Jakob, Herr.“

Dann komm her und halte unsre Pferde“, sagte der Mann und ließ die Zügel einfach aus der Hand fallen. Jakob ging hin, bückte sich und nahm die Zügel beider Pferde in die Hände.

Ahh, tut das gut“, seufzte Heinrich, der seinen Strahl direkt in den Kocherfluss lenkte. „Und du willst wirklich nicht, Ludwig?“

Nein Heinrich. Ich muss zurück nach Westheim. Sie kommen doch schon heute am Abend. Und mein Oheim lässt seine schwangere Gemahlin für zwei Nächte bei uns auf dem Gut, während er, bevor er mit Heinrich gen Italien zieht, hier am Haal nach der Salzerzeugung schaut und seinen Erstgeborenen besucht, den er ja bei Euch im Kloster unterbringen musste.“

Ja, ja, den Odo“, antwortete Heinrich. „Dass die Erstgeborenen immer unter der Familienpolitik leiden müssen!“

Wieso? Leidet Odo?“

Na, er kann zum Beispiel nicht hinüber zu den Mädchen“, lachte Heinrich. „Ich kann - noch! Meine Brüder Rugger, und Emehard insbesondere, haben da so etwas eingefädelt... nein, eigentlich bin ich selbst nicht ganz unbeteiligt gewesen, weil ich vor zwei Jahren bei unserem Versuch zur Befriedung der Holoher die Mergintaimer ins Spiel gebracht habe. Da traf ich die liebliche Maid Geba zum ersten Mal.

Landadel heiratet Landadel“, spottete Ludwig.

Ach Herr Pfalzgraf“, ätzte Heinrich zurück, dann ist Eure Gemahlin Merengard auch Landadel. Sie ist die Tochter meines älteren Bruders Emehard.“

Und dessen Gemahlin war die Tochter einer Base der Gemahlin meines Oheims Friedrich und damit eine Königliche. Sie hat Euch als letzte Erbin eines aussterbenden Geschlechts viele zusätzliche Güter eingebracht.“

Ja, ja, Emehard. Man sollte meinen, er hatte es gut getroffen, damals. Doch er ist auch einer, den ich meinte, als ich das mit den Erstgeborenen sagte. Das hat schon mit der Namensgebung angefangen. Unser Vater nannte ihn nicht nach seinem Vater - erst mich, seinen Jüngsten, 20 Jahre später - sondern nach seinem Oheim, dem frommen Emehard, der das neue Münster samt Kloster zu Wirceburg stiftete. Einer Stiftung, der wir ja erst die Schenkung der Ländereien unserer Grafschaft von hier bis zum Taubergrund zu verdanken haben. Und was machte mein Bruder Emehard?: nach dem frühen Tod seiner Adelhaid trat er in eben dieses Neustift ein.“

Und ist seit vergangenem Jahr unser Bischof in Wirceburg. Aber du scheinst, obwohl du ihre weltlichen Güter hierzulande verwaltest, nicht allzuviel von unserer Heiligen Kirche zu halten, so wie du redest.“

Zuviel Ärger, Ludwig, zuviel Einmischung in des Reiches Ange-legenheiten. Wenn ich König wäre, gäbe es sicherlich keine Bischöfe, die zugleich Fürsten weltlicher Gaue sind, oder umgekehrt, ich würde in meinem Reich keine Ernennung von Fürsten zu Bischöfen zulassen oder gar selbst ernennen, wem immer nun das Recht dazu zusteht, dem Kaiser des Reiches oder dem Heiligen Vater in Rom. Die oberen Herren der Heiligen Kirche sollten sich um das Seelenheil der Menschen kümmern, dies als ihre alleinige Aufgabe sehen. Stattdessen sind doch viele Klöster, auch das unsere auf der Comburg, nur Bewahranstalten für adelige Kinder, für die es keine weltliche Verwendung gibt, weil ihre Ahnen nicht genügend Güter und Lehen angesammelt haben.“

Es ist...“

Ludwig, ich sage dies ganz im Bewusstsein, dass mir als jüngstem Spross solch Schicksal auch hätte blühen können, wenn nicht meine Brüder in die Dienste des Herrn gegangen wären.

Dass Emehard durch seinen Einzug ins Kloster seiner Adelhaid näher sein wollte, nachdem Gott sie zu sich genommen hat, das verstehe ich ja. Aber weshalb Burkhard Mönch wurde und ein Kloster gründete, obwohl es nach der Urkund, die mein Großvater einst in Augsburg unterzeichnete, um den Komberg zu bekommen, auch der einfache Bau einer Kirche auf der Burg getan hätte... Ludwig, es wird mir stets rätselhaft bleiben.“ Er machte eine kurze Pause in seinem Redefluss, um sein bestes Teil wieder in der Hose zu verstauen. „Und noch eins“, meinte er dann, bevor Ludwig zu einer Erwiderung ansetzen konnte, „ich werde wohl der Tradition unserer Familie treu bleiben. Im Vertrag zu meiner kommenden Vermählung steht Ähnliches, bin ich doch einiges älter als die liebliche Geba. Ich werde für den Fall meines eheren Ablebens für Geba und etwaige Töchter wohl eine klösterliche Stätte bauen und stiften müssen, was mir, du kannst es dir denken, heftig widerstrebt.“

Lass derlei nur niemand hören, der weniger tolerant ist als ich, Heinrich. Es könnte dir als sündiges Denken ausgelegt werden. Meine Merengard täte dies wohl...“

Ja, ja. Ich weiß. Wir stammen alle aus sehr frommen Familien. Oder sollte ich sagen, fromm tuenden Familien?“ Er hob die Hand, um Ludwigs Einwand zu verhindern. „Du willst doch wohl nicht widersprechen, wenn ich feststelle, dass diese Frömmigkeit oft nur zu Schau gestellt wird, um politische Ziele zu erreichen, um Einfluss und Macht zu mehren. Doch wenn man ständig alles Denken und öffentliches Handeln unter das fromme Gesetz stellt, Ludwig, wo bleibt da der eigene Wille? Sind wir dann nicht genau so wenig wie unsere Knechte und Mägde?“

Genau so lehrt es doch unsere Heilige Kirche. Vor dem Herrn sind wir alle gleich.“

Lehre und Handeln widersprechen sich aber ständig!“

Ludwig von Westheim schwieg. Nachdenklich, wie es schien. „Komm, Heinrich“, sagte er dann, „lass uns wieder auf die Pferde steigen und solchen Zwist beenden. Vergiss nicht, wir haben einen Zuhörer.“

Einen kleinen, dummen Siedersbuben.“ Heinrich trat auf den Buben zu. „Wie heißt du?“, fragte er und nahm ihm die Zügel aus der Hand. Jakob blieb vor Furcht, dass ihm der Herr so nahe kam, die Stimme weg.

Er heißt Jakob“, meinte Ludwig und nahm seine Zügel ebenfalls.

Kann er nicht selber reden?“

Ich kann reden, hoher Herr“, gab Jakob mit belegter Stimme zur Antwort.

Und hören?“

Ja, Herr.“

Und verstehen?“

Jakob zögerte kurz, überlegte, was er wirklich von dem, was er gehört hatte, begriff. Der eine hatte etwas über Mönche und Klöster gesagt, das dem anderen nicht gefallen hatte. Der andere hatte von seinem Oheim erzählt, der eine Königstochter zur Frau hatte, und dass seine Gemahlin Merengard hieß. Und: dass er nicht mit hinüber könne zu des Baders Mädchen... „Ihr wollt hinüber zum Bader“, sagte er dann.

Sieh da!“, rief Heinrich und lachte seinen Jagdkumpanen an. „Das Wichtigste hat er begriffen!“ Beide Reiter saßen wieder auf ihren Pferden. „Und du willst wirklich nicht, Ludwig? Ein Bad täte dir auch gut, gar wo du heut noch solch hohen Besuch auf deinem Gut erhältst.“

Nein. Ich reite zurück nach Westheim, mein Lieber. Aber tu‘ dir keinen Zwang an“, spottete Ludwig, „wo du doch so sehr am freien Willen hängst. Gott sei mit dir.“ Ludwig bekreuzigte sich, lächelte dabei.

Na denn.“ Heinrich schnalzte mit der Zunge, drängte seinem Pferd die Schenkel in die Flanken und lenkte es in die Furt. Ludwig wendete sein Pferd und ritt wieder den Weg zwischen den Gärten hinauf zur Steige.

Jakob blieb stehen, wusste nicht, wem er länger nachschauen sollte. Dann erinnerte er sich seiner Schnur und an den Stein, unter dem er sie am Ufer festgeklemmt hatte. Der Zweig schwamm immer noch. Kein Fisch hatte angebissen.

Irgendwo gackerten Hühner aufgeregt. Jakob schaute zu den Gärten hin, die sich den Hang hinauf und hinüber zu den Häusern zogen, die sich um St. Katharina scharten.

Auch drüben auf dem Unteren Wöhrd gab‘s Bewegung. Eines der Mädchen des Baders Ulfried, kam am Pferd Heinrichs vorbei aus dem Haus und streute „piepiepiep“ Körner etwas abseits des Badehauses aus, um ihre überall im hinteren Teil des Wöhrds freilaufenden Hühner anzulocken. Dann kam plötzlich sein Freund Gosbert aus den Gärten gelaufen. Er hatte zwei Hühner links und rechts in den Händen, und zwar an den Beinen gepackt, so dass sie mit den Köpfen schlaff nach unten hingen.

Jakob, da, nimm! Ich hole nochmal zwei“, sagte er.

Wo hast du die her?“

Das sind unsere“, beteuerte Gosbert. „Aus unserem Garten.“

Jakob schaute zweifelnd, weil er wusste, dass Gosbert dazu neigte, fremdes Gut an sich zu nehmen.

Es stimmt, Jakob! Es sind unsere“, beteuerte Gosbert. Dann etwas kleinlauter: „ich hab‘ nur Mutter nicht gefragt. Aber drüben beim Keck“..., er drückte Jakob seine beiden Hühner in die Hände, ...„da gibt‘s einen Wirceburger für die Hühner.“ Gosbert drehte sich um, wollte wieder in die Gärten zurück.

He!“, beschwerte sich Jakob. „Du solltest deine Mutter fragen.“ Er legte die toten Hühner vor sich ins Uferkies.

Dann hol ich mir meine Pfennige eben selber“, murrte Gosbert, bückte sich und hob die Hühner wieder auf. Dann ließ er Jakob einfach stehen und machte sich auf den Weg über die Furt, um den Unteren Wöhrd entlang zum Keckenhof zu gehen. Jakob schaute erst ihm nach, dann hinüber zum Badermädchen, das eben dasselbe machte wie Gosbert: sie ging mit zwei, allerdings noch lebenden Hühnern, die mit den Flügeln schlugen, aber ebenso kopfunter in ihren Händen hingen, zurück zum Badershaus. War da doch Wahres in dem, was Gosbert gesagt hatte?

Jakob schaute nach seinem Zweig, der immer noch unberührt auf dem Wasser schwamm. Vielleicht sollte er es doch weiter oben, direkt an der Mündung des Lindbaches versuchen, überlegte er. Doch der Lindbach war ja nur ein Rinnsaal. Keine Fische würden in seinem Mündungswasser stehen, wie das im Frühjahr und Herbst manchmal zu beobachten war. Er hob den Stein und holte die Schnur hervor, dann zog er den Zweig zu sich her aus dem Wasser. Der Wurm hing immer noch an dem Knochensplitter. Den mochten die Fische wohl nicht. Er würde nach einem neuen graben müssen. Suchend blickte er sich nach dem Stock um, mit dem er diesen Wurm ausgegraben hatte. Wo hatte er ihn nur hingeworfen?

Sein Blick ging hinüber zum Wöhrd. Die junge Frau ging, einen Korb auf dem Rücken, wie zuvor Gosbert den Wöhrd hinunter zum hölzernen Steg, der dort den anderen Flussarm überquerte, wo die Flößer das Holz für die Sieder aufgestapelt hatten und die Holzhauer am Werk waren. Die konnte Jakob aber wegen der Büsche und Bäume, die auf der anderen Seite dieses Flussarms am Ufer der Insel wuchsen, nicht sehen, so wenig wie den Steg zum Haalweg und zum Keckenhof auf der andern Inselseite.

Jakob ging, die Schnur über seinen ausgestreckten Fingern der Rechten zusammen rollend, am Ufer entlang. Dann nahm er den Ring aus Schnur von den Fingern, wickelte das Schnurende einmal quer um die Mitte, und verankerte den Knochen - ohne Wurm - in einer der entstandenen Schlaufen, steckte das Gebilde in seine Hosentasche.

Wenig später konnte er dort, wo der andere Flussarm mit diesem sich wieder vereinigte, zu den Holzhauern hinüber schauen. Sehen konnte er aber immer noch nicht viel, die Holzstapel waren zu hoch. Er kletterte auf den schmalen Steg, der hier den kleineren der Flussarme überspannte, eigentlich nur zwei Bretter nebeneinander auf Holzstämmen, mit einem Seil als Geländer, der vor allem von den Holzhauern benutzt wurde, wenn sie zur Arbeit gingen oder von dort nach Hause wollten. Manchmal nutzten ihn auch Frauen, wie Jakob in diesem Moment beobachten konnte, denn hinter ihm kamen zwei schwatzende Weiber über den Steg, jede mit zwei kopfüber hängenden Hühnern in den Händen. Es war also doch wahr, was Gosbert gesagt hatte. Weshalb aber brauchte der Keck soviele Hühner, tote Hühner? Was hatten die Männer am Fluss geredet? Irgend jemand kam an den Haal, um seinen Erstgeborenen zu besuchen. Ein hoher Herr wohl mit großem Gefolge, das all diese Hühner verspeisen würde. Jakob stellte sich in einen Spalt zwischen zwei Holzstapeln, ließ die Frauen an sich vorübergehen. Er wäre ja gerne hinauf geklettert auf einen der Stapel, aber wenn ihn die Holzhauer dabei erwischten, gab‘s Schimpfe oder vielleicht sogar Schläge. Darauf war er aber nicht erpicht.

Weitere Frauen kamen und Jakob schloss sich ihnen an. Eine der Frauen erkannte ihn sogar. „Ja, der Jakob!“, rief sie und fragte dann: „Willst du auch den Herzog begrüßen und ihm zuwinken, wenn er am Haal einreitet?“ Jakob nickte nur und trottete mit den Frauen an den Holzhauern vorbei, die ihm so gar keine Beachtung schenkten. Anders wenn er alleine gewesen wäre. Dann hätten sie wohl geschimpft und ihm gesagt, er solle sich hier nicht herumtreiben, weil das gefährlich wäre, wenn so ein Baumstamm vom Stapel herunter rollte...


[…]


1097 Ein Bote kommt


Folgsam war sie nach oben gegangen, nachdem alle im Haus ihre Erscheinung bewundert hatten, und hatte sich in ihre Stube begeben, die jetzt bis auf ihre Bettstatt und das darauf ausgebreitete Schlafkleid, einen hölzernen Hocker, auf dem sie nachher, wenn sie sich zum Schlaf bereit machte, ihre neue Kleidung ablegen würde, sowie eine kleine Truhe, in der sie ihre Schätze aus der Kindheit aufbewahrte, leer war. All ihre Sachen und einige Dinge mehr waren in Truhen und Deckelkörbe verpackt oder mit Sackleinen umhüllt und geschnürt von den Knechten des Hauses auf einen der langen Handelswagen ihres Vaters verstaut worden. Aus dem Fenster ihrer Stube blickte Ingarith auf den Hof hinunter, als Gosbert und Frieder die letzte Truhe auf den Wagen hoben. „Das war die letzte von den großen“, stöhnte Gosbert und atmete tief aus, schüttelte seine Arme aus, während er mit Frieder zurück ins Haus ging und Ingariths Blick entschwand. Jetzt lag der Hof verlassen vor ihr. Nur die beiden Wagen standen abfahrbereit dort unten, der vollgepackte große und der kleinere mit den Sitzbänken und einer kleineren Ladung aus Säcken im hinteren Teil, auf dem sie morgen, zusammen mit Vater und Mutter und Hildegard an den Neckarfluss fahren würde. „Hildegard wird bei dir bleiben“, hatte Haniman bestimmt. „So wird dir dein neues Heim am Helibrunna nicht ganz unvertraut sein. Und du wirst mir dafür sorgen, dass dein Gemahl sie nicht ungerecht behandelt. Sie ist deine Dienstmagd, nicht seine!“

Morgen!

Ingarith wollte sich mit den Händen ins Haar greifen, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. Die Frisur!

Beatrix, die Frau des Baders vom Unterwöhrd hatte so viel Mühe darauf verwendet, die frisch gewaschenen Haare nach dem Bade wieder zu bändigen und mit Spangen kunstvoll in Form zu bringen. Ingarith fürchtete nur, dass davon am Morgen nach dieser letzten Nacht im Haus ihres Vaters nicht mehr all zu viel übrig sein würde.

Der Nachmittag auf dem Unteren Wöhrd, auf den sie sich gefreut hatte, seit ihr Vater angeordnet hatte, dass er sie am Tag vor der Reise dort hin schicken werde, hatte sie zunächst etwas verwirrt und dann in sich selbst gestärkt. Bea hatte ihr ihre mädchenhafte Unschuld genommen. Ingarith fühlte sich nun als junge Frau. Es war, als habe Bea mit ihrem Badewasser ihr Kleinmädchendasein abgewaschen und mit dem Öl und all den anderen wohltuenden Dingen, die sie mit ihr gemacht hatte, die junge Frau aus dem übrig gebliebenen Körper hervor gezaubert.

Hildegard, die draußen allein in der Gaststube des Badehauses bei einem Krug Wein gewartet hatte, während Ingarith gebadet wurde, hatte nur gegrinst, als Ingarith und Bea schließlich, begleitet von einem Schwall von Dunst aus dem heißen Zimmer in die kühlere Luft des Gastraums traten. Und auch Ingarith hatte einen Becher Wein bekommen, während Beatrix ihr am großen Tisch des Gastraumes die Haare kämmte und hochsteckte.

Nach dem Bade hatte Bea sie mit einem weichen Tuch abgetrocknet, gewebt aus einer Faser und auf eine Art und Weise, die Ingarith noch nie gesehen hatte. Auch Bea konnte ihr nicht viel darüber sagen, außer dass dieses Tuch wohl aus fernen Landen kam, denn Bader Ulfried habe es vom Roemer aus den Hinterlassenschaften des großen Erdrutsch-Unglücks oben am Kirchenneubau vor einigen Jahren erworben.

So, nun wollen wir aus dir eine junge Frau machen“, hatte Bea zu ihr gesagt, als sie am ganzen Körper trocken war, und hatte sie geheißen, sich bäuchlings auf einen Tisch zu legen, dessen Fläche mit Heu und Tüchern weich gepolstert war. Dann hatte sie Ingariths Rücken mit einem wohlriechenden Öl beträufelt, das sie anschließend sanft, aber sorgfältig in die Haut einrieb. Es war ein sehr wohliges Gefühl, das Ingarith dabei verspürte.

Kennst du deinen Körper?“, hatte Beatrix sie gefragt, während sie weiter ihren Körper knetete.

Ja“, hatte Ingarith gemurmelt. „Ich..., ... meine Seele wohnt darin,“

Und du weißt, wie sich dein Körper von dem deines zukünftigen Gemahls unterscheidet?“

Er ist ein Mann.“

Und?“

Er hat einen Bart. Und er ist größer und dicker als mein Vater. Aber genau weiß ich das nicht. Ich habe Dietrich nur einmal gesehen, als er drei Tage lang Gast in unserem Haus war.“

Was denkst du noch über Männer?“

Ich... ich weiß nicht genau. Solange sie noch Buben sind und keinen Bart haben, sind sie wehleidiger als Mädchen. Mädchen und Frauen heulen nicht gleich los, wenn ihnen etwas weh tut.“

Bea lachte. „Da hast du aber ‘was Wahres erkannt... Dabei tun sie immer so, als könne sie nichts umwerfen... Aber sag, wodurch unterscheiden Frauen und Männer sich noch?... Dreh dich um, leg dich auf den Rücken, damit ich vorne weiter machen kann!“

Ingarith legte sich auf den Rücken und quietsche, als Bea Öl auf ihren Bauch und ihre sanft sprießenden Brüste tropfen ließ.

Nun?“

Männer haben keine Brüste. Sie müssen auch keine Säuglinge füttern“, antwortete Ingarith und stöhnte wohlig und leise, als Bea ihre Brüste knetete und mit dem Daumen rund um die Brustwarzen kreiste.

Gefällt dir das?“

Hhm“, bestätigte sie und drückte ihren Oberkörper leicht nach oben, Beas Händen entgegen.


Ein Schauer durchlief Ingariths Körper, ihre Hände gingen zu ihren Brüsten, wie sie so da stand und in den dämmrigen Abend hinaus starrte. Es wurde langsam Nacht.

Die letzte in ihrem Elternhaus!

Sie sah nochmals einen der Knechte in den Hof kommen, der einen Sack von seiner Schulter auf den Wagen hievte. Irgend etwas im Sack klapperte, als Gosbert, wie sie erkannte, den Sack in den Spalt zwischen einer Truhe und der Bordwand stopfte und dabei unwirsch vor sich hin murmelte. Männer sind irgendwie grob, dachte Ingarith. Diese Antwort hätte sie Bea am Nachmittag auch geben können. Bea war zart mit ihrem Körper umgegangen, obwohl sie ihn von oben bis unten durchgewalkt hatte. Überall! Erneut durchströmte Ingarith ein wohliger Schauer, als sie an den Nachmittag im Badehaus dachte.


Und wodurch unterscheiden Männer sich noch von uns Frauen?“

Bea tröpfelte weiteres Öl auf Ingariths Bauch und Schenkel.

Frauen bekommen Kinder“, hatte sie geantwortet.

Und wie bekommen sie diese Kinder?“

Sie werden ihnen von Gott geschenkt, wenn sie bei ihren Männern liegen.“

Hhm“, nickte Bea und lächelte still vor sich hin, als sie das Öl auf Ingariths Schenkeln verrieb. „Du weißt aber schon, dass Männer und Frauen sich hier zwischen den Beinen unterscheiden?“, fragte sie nach einer Weile und fuhr mit der flachen Hand durch Ingariths haarigen Flaum.

Buben haben dort, wo wir unser Pfläumchen haben, ein Schwänzchen“, antwortete Ingarith. „Ich habe Brüder, und sommers haben wir als kleine Kinder oft nackend im Hof von unsres Vaters Haus gespielt.“


Dort unten, wo jetzt die beladenen Wagen standen, hatte sie mit einem tönernen Becher Sandhäufchen geformt und in jedes Häufchen einen vom Busch in der hinteren Ecke abgerissenen Zweig gesteckt. Einen ganzen Wald hatte sie gepflanzt. Ingarith beugte sich nach draußen, um den Fensterladen zuzuziehen. Und als sie beim Hinausgreifen mit ihrem Schoß gegen die Fensterbank drückte, meinte sie einen Widerhall der Gefühle zu spüren, die Bea ausgelöst hatte, als sie beim Einmassieren des Öls auch den Spalt zwischen ihren Beinen nicht ausgelassen hatte, mit einem Finger immer wieder die Lippen geteilt und mit dem Daumen einen bestimmten Punkt oberhalb gerieben hatte. Wohlige Schauer waren durch Ingariths Körper geströmt, immer stärker und schließlich zu einer großen Anspannung geworden, die sich endlich in einem lauten Schrei und einem Zittern am ganzen Körper gelöst hatte.

Sanft hatte Bea weitergestreichelt, gedrückt, geknetet, die Schenkel und die Beine hinunter bis zu den Füßen, und weiter geredet. “Wenn du das, was ich gerade mit deinem Pfläumchen, wie du es nennst, gemacht habe, mit dem Schwänzchen eines Mannes machst, bei deinem künftigen Gemahl, dann wird er ähnliches empfinden. Und sein Schwänzchen wird wachsen und steif und hart nach oben stehen. Und manche Männerschwänzchen mögen es besonders, wenn du ihnen Küsschen auf die Spitze gibst. Doch vorsichtig! Übertreibe es nicht! Denn wenn sie einen Zustand erreichen, wie du eben, als dir ein Schrei über die Lippen kam, dann wird plötzlich ein Strahl wie Milch herausschießen. Zwei-, drei-, viermal wird es spritzen, dir ins Gesicht, dir in den Mund... Deshalb brich es ab das Spiel, bevor es kommt, denn dieser Rahm gehört nicht in den Mund, sondern in deinen Bauch. Dein Gemahl wird sein steifes Glied deshalb dort in den Spalt zwischen deinen Beinen stecken und dort hinein spritzen. Das ist es, wie Kinder zu uns Frauen kommen.“

Dann nach einer Weile, als Ingarith nichts sagte, sondern nur da lag und Beas Streicheln genoss, fragte sie: „du hast schon geblutet?“

Ja“, antwortete Ingarith leise. “Jeden Mond einmal, zwei drei Tage lang.“

Bea nickte.

Mama hat gesagt, das sei Gottes Bürde, die er uns Frauen auferlegt habe, damit wir uns immer erinnern, fromm und sittsam zu bleiben. Und nur unsere Gemahle hätten die Macht, diese Bürde aufzuheben, wenn wir bei ihnen liegen und von Gott Kinder empfangen. Doch wie das vor sich geht, und welch schöne Gefühle damit verbunden sind, das hat sie nicht gesagt.“

Und auch die Tage sind begrenzt, an denen wir Kinder empfangen können“, sagte Beatrix. „Wie gut kannst du die Tage zählen, Kind?“

Ich bin die Tochter eines Kaufmanns, Baderin. Ich kann zählen und rechnen. Ein Dutzend sind zwölf oder zwei Hände und zwei. Von Vollmond bis Vollmond sind es 29 Tage oder fünf Hände und vier.“

Und von einmal bluten bis zum nächsten mal?, fragte Bea.

Meist sind es vier oder fünf Tage vor dem Vollmond. Und einen oder zwei Tage vor dem Vollmond hört es auf, manchmal auch erst in der Vollmondnacht. Warum fragst du mich das alles?“

Weil du wissen solltest, wann du Kinder empfangen kannst und wann nicht. Bei dir ist es wohl ab dem fünften Tag nach dem Vollmond bis zum zehnten oder zwölften Tag danach möglich. Später wird es wohl keine Empfängnis geben, sondern wieder das Bluten fünf oder vier Tage vor dem nächsten Vollmond.“

Bea bewegte spielerisch mit dem Zeigefinger den großen Zeh des Fußes, den sie zuletzt gedrückt und geknetet hatte, auf und nieder. „So. Ich bin fertig. Jetzt kleide dich wieder an!... ... Nein! Nicht deine Kindersachen, in denen du gekommen bist. Hildegard hat doch dieses Bündel neuer Gewänder mitgebracht und dort drüben auf der Bank abgelegt.“ Bea deutete zur andern Wand nahe der Tür. „Du bist eine schöne junge Frau, Ingarith“, sagte sie . „Dein Gemahl wird stolz auf dich sein.“ Sie nickte, nachdem sie Ingariths Gestalt mit leicht gespitzten Lippen und prüfendem Blick begutachtet hatte. „Das mit den schönen Gefühlen...,“sagte sie dann und machte eine Pause. „Ich kenne deinen künftigen Gemahl nicht. Aber erwarte nicht zu viel. Die meisten Männer haben nur ihre eigenen Gefühle im Sinn und kümmern sich wenig um die Gefühle der Frauen, die sie begatten.“...


[…]


1124 Trockener Sommer


Du erinnerst mich an jemand, eine Maid, die ich früher kannte. Sie war die Tochter eines Tuchhändlers und hieß Damaris.“

Ja!?“ Die Bäckersfrau schaute auf, musterte den Mann von oben bis unten. Es war der Händler, der kurz zuvor sein Fuhrwerk an den feilschenden Frauen, Mägden und wenigen Knechten vorbei zur Mauer gelenkt und dort abgestellt hatte. Irgendwie war ihr, als ob sie den Mann auch schon einmal gesehen hatte. Jünger war er damals, viel jünger. Und es war nicht hier am Haal... Nordilinga?... Ulma?... Augsburg... ! „Der Mondmann!“, entfuhr es ihr.

Der Händler lachte. „Du bist es wirklich! So hat mich niemand sonst genannt, nie wieder in drei Jahrzehnten. Oder ist es noch länger her?“

Auf deinen wirklichen Namen kann ich mich aber nicht besinnen“, meinte Damaris.

Bernhard. Bernhard aus Augsburg. 15 oder 16 Lenze alt war ich zu jener Zeit, als ihr mehrmals im Jahr bei uns Halt machtet. Hatte mich schwer verguckt in dich, damals.“

Den Mond wolltest du mir verkaufen...“ Sie lächelte ob der Erinnerung. „Heute verkaufe ich dir den Mond, ein Abbild des Mondes: einen runden Laib Brot.“

Und was willst du dafür? Deswegen bin ich tatsächlich hier her gekommen. Walther der Schmied, dem ich gerade einige Stangen Eisen aus Anelfingen gebracht habe, er hat gesagt, dass es hier oben am Markt eine Frau gebe, die Brote feilbietet.“

Zwei und ein halbes Pfund schwer. Einen Wirceburger, drei Pfund Roggen oder Weizen, das halbe Gewicht vom Schwein, ob Fleisch oder Speck ist egal, Speck wäre mir aber lieber, zwei kleine Hühner lebendig oder ein großes Huhn geschlachtet und ausgenommen, einen Krug Neckarwein, einen ebensolchen Krug Milch, solange sie nicht sauer ist, oder ein kleines Fass Wasser... Aber ich sehe schon, du kannst nichts von alledem bieten... Bleibt es also wohl beim Wirceburger.“

Derer hab ich wohl einige, auch einige Babenberger und Sächsische und Augsburger natürlich, wie‘s Euch genehm ist. Hab ja schließlich gerade einen Handel mit Eisen gemacht. Aber sag: ein Fass voll Wasser?!!“

Wasser ist knapp in diesem heißen Sommer. Du hast ja sicher den Fluss gesehen. So niedrig war das Wasser dort lange nicht. Und all unsere Bäche, die herunter ins Tal rinnen, sie sind trocken oder fast trocken, wie die meisten Brunnen hier am Haal auch.“

Und woher bekommen die Menschen hier dann ihr Wasser. Ich meine, zum Waschen und Baden mag das Wasser im Fluss ja wohl gut sein, aber zum Trinken und Kochen?“

Manche Hausbrunnen geben noch etwas her, und es gibt noch die Quelle am Breiten Stein weiter Tal abwärts. Ein paar Fuhrleute hier vom Haal fahren mehrfach am Tage dorthin, schöpfen es und bringen es Fass für Fass auf ihren Ochsenkarren in die Siedlungen. Die kleinen Dörfer oben auf der Ebene sind schlimmer dran, als wir hier im Tal... Schau!“ Damaris deutete hinüber zum Ende des Platzes, dorthin, wo der Weg auf den Markt mündete, der von der Schuttbachfurt her kam. Die Furt war in diesen Tagen nur noch eine trockene Fahrspur mit Rinnsal, das zwischen den Steinen talwärts sickerte. Bernhard sah einen schweren, wie ein großes Fass geformten Ochsenkarren zum Markt herauf kommen... „Der Roemmich ist der einzige Fuhrmann hier am Haal, der einen solchen wie ein Fass geformten Wagen besitzt“, sagte Damaris. Die anderen stellen alle große alte Weinfässer auf ihre Karren. Aber in den hier passt bestimmt die doppelte Menge an Wasser.“

Der Roemmich?“

Der Michel vom Roemer.“

Ah! Hab‘s kapiert. Vom Roemer aus Hall hab ich schon gehört.“

Der auf dem Karren ist aber nicht der Roemmich. Das ist Berthold, der Sohn vom Küfer, der dem Roemmich den Karren gebaut hat. Er arbeitet seit diesem Sommer als Fuhrknecht für den Roemmich. Und der Bursche, der vorne die Ochsen am Zaum führt, das ist Johann, der Sohn von Walther, bei dem du das Eisen verkauft hast.“

Der Johann?! Triftt sich gut. Den soll ich nämlich nach Anelfingen mitnehmen. Sein Vater will, dass er dort sich umsieht, lernt, wie man das Erz gewinnt und zu Eisen schmilzt. Walther sagte, er habe ihn zum neuen Tor am Mühlweg geschickt, ich solle später nochmals wieder kommen, dann sei sein Johann fertig für die Reise... Ach was finde ich das schön, dich hier wieder getroffen zu haben, Damaris. Sag! Wie ist es dir ergangen. Ich bin, wie du siehst, Kaufmann geworden, wie dein Vater. Nur hab ich mich auf Erze und Metalle verlegt und nicht auf Tuche wie dein alter Herr.“

"Ich habe schon lange nichts mehr von meinen Eltern gehört. Wenn ich mich recht erinnere, waren sie zuletzt im Jahr nach meiner Verehelichung hier am Haal. Und das ist schon mehr als zwanzig Jahr‘ her. Weiß nicht, ob sie überhaupt noch am Leben sind.“

Kann mich ja mal umhören unterm fahrenden Volk. Woher stammt eure Familie ursprünglich?“

Lauingen hieß der Ort, in dem Vater und Mutter geboren wurden. Und hier bin ich schon seit, lass mich nachzählen, 28 Jahren und ein bisschen mehr. Meine Eltern haben mich im Frühjahr, bei ihrer ersten Fahrt einfach hier gelassen bei den Brüdern. Ich hatte ein freches Mundwerk gehabt gegenüber Vater, war widerspenstig gewesen, wollte sogar weglaufen, und so war mir das gar nicht unrecht, als sie mich den Brüdern als Magd andienten. Und einen von ihnen hab ich dann, viele Jahre später geheiratet.“ Damaris lachte über das verdutzte Gesicht ihres Mondmannes.

Brüder? Mönche? Und du hast was? Einen Mönch geheiratet!?!“

Stimmt!“, lachte Damaris kopfnickend weiter. „Wenn ich schon einen biblischen Namen trage, dann kann ich doch auch einen Bibelmann heiraten.“

Sachen gibt‘s hier am Haal.“

Einen der Jakobsbrüder hab ich geehelicht, die da drüben“, sie deutete auf die Gebäude links neben dem Kirchhügel - „die Pilgerherberge haben und die Rechte hier am Markt und die Jakobskirche da, die für unser Seelenheil hier Sorge tragen und das der hohen Herren - siehst ja den Kirchenneubau da oben - und die auch den Kindern der herrschaftlichen Familien hier das Lesen und Schreiben beibringen und immer wieder einen von ihnen in ihre Reihen locken, wie meinen Paul... Aber der war ja kein richtiger Mönch, kein geweihter. Er war der ewige Novize hier... Und jetzt ist er Bäcker und ich die Bäckerin... was ich auch schon als Magd bei den Brüdern war. Pater Severinus und Meister Manegold, der Baumeister an der neuen Kirche da oben und an den Mauern rund um den Haal und was weiß ich noch, sie haben etwas ausgehandelt und uns unten zwischen Schuttbach und geblocktem Kocher, nicht weit von der Schmiede, die du ja kennst, die Bäckerei gebaut, bauen lassen, und wir versorgen seitdem die Herberge, die Brüder und Meister Manegolds Bauleute mit dem täglich Brot.“

Damaris wandte sich einer Frau zu, die ihr wortlos einen gefüllten Leinenbeutel hin hielt. Damaris löste die Schnur, die ihn verschloss, fuhr mit der Hand durch das darin befindliche Getreide, hob einen der Brotlaibe hoch, packte mit der andern Hand den Beutel und wog beides prüfend und gegeneinander abschätzend in den Armen.“Ja, er ist schwerer“, sagte sie, gab der älteren Magd, die immer noch kein Wort gesagt hatte, das Brot, schüttete den Inhalt des kleinen Säckchens in einen größeren, schon etwas befüllten Sack, der hinter ihr stand. „Und, Hildegard, geht‘s euch gut?“, fragte sie, als sie den nun leeren Beutel zurück gab.

Die Frau nickte nur, sagte nach wie vor nichts, klemmte den leeren Sack unter die Achsel des Arms in dem sie das Brot hielt, nahm das Brot dann mit beiden Händen und ging davon.

Was war denn das für eine?“, fragte Bernhard, der die Szene seltsam berührt beobachtet hatte.

Das war die Hildegard. Lebt unten am Gut des Gebehardt direkt in unserer Nachbarschaft. Sie war einst die ,Amme‘ der jüngsten Tochter des reichen Salzhändlers Haniman. Ingarith hat später den Roemer geheiratet, nachdem ihr erster Bräutigam in der Nacht vor ihrer Hochzeit gestorben sein soll. Hildegard ging danach wieder zurück an Hanimans Hof. Und Ingarith ist Jahre später bei ihrer zweiten Geburt samt Kind selbst gestorben. Haniman ist vor ein paar Jahren ebenfalls von uns gegangen. Und Hanimans Schwiegersohn Gebehardt hat seine Schwiegermutter und alle aus dem alten Gesinde aus dem Haus geworfen, hat sie in eine hölzerne Hütte im Winkel zwischen zwei Lagerschuppen ausquartiert. Das hat großes Aufsehen hier am Haal verursacht, damals. Aber Gebehardt hat gesagt, das sei jetzt sein Besitz und auf dem könne er machen, was er wolle und für richtig halte...


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Haal – historic fiction... ISBN 978-3-921685-06-8 product verlag Schwäbisch Hall / Books on Demand