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R.Hugh
'Anderwelt' Erzählungen, 504 S. hardcover, ISBN
978-3-921685-07-5
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Was schreibt ein 20-jähriger? Wie erzählt ein 40-Jähriger? Und wie schaut ein 60-Jähriger zurück? Autor R. Hugh hat für seinen zur Frankfurter Buchmesse im Herbst (2021) erschienenen Erzählband 'Anderwelt' (zum Teil bislang unveröffentlichte) Geschichten ausgewählt, die markante Punkte in seiner Schreib- und Denkwelt waren und sind. In fast 50 Jahren schreibender Tätigkeit – die ersten 30 davon nicht nur geprägt von der aufbegehrenden 68er-Generation, sondern auch durch das bewusste Sich-Absetzen von der elterlichen Weltkriegsgeneration, und nicht zuletzt durch die Ereignisse und Denkmuster des sogenannten 'Kalten Krieges' – fanden sehr unterschiedliche Gedanken ihren Widerhall in dem, was er schließlich niederschrieb: innere Auseinandersetzungen, Träume, Liebeskummer, Fluchtwelten aus der Wirklichkeit, Auswirkungen politischer Ereignisse auf das eigene Ich, gedankliche Spiegelbilder dessen, was wirklich geschah oder was hätte sein können, wenn... Interessant: Nur eine einzige der Erzählungen in diesem Band stammt aus den 90er-Jahren. Nicht dass R.Hugh damals nichts geschrieben hätte. Doch diese Zeit war mehr geprägt durch andere berufliche Tätigkeiten: 1990 erschien sein Sachbuch über 'Schwarzen Tee', von 1987 an arbeitete der gelernte Zeitungsjournalist (Ausbildung 1972-1974) als Regionalreporter für den Rundfunk (erhielt 1990 und 1992 für seine Reportagen Medienpreise der LfK Baden-Württemberg), und 1998 gründete er eine (bis 2011 existierende) regionale Internet-Nachrichtenseite. Zudem waren die 90er geprägt durch private Ereignisse wie seine Heirat mit Künstlerin Anna Veronica Heierth, die Geburt von Sohn Linard oder den Erwerb eines denkmalgeschützten Altstadthauses. Und: Fast alle Geschichten in dieser Edition wurden seit ihrer Entstehung überarbeitet, einige auch inhaltlich verändert, weil sie in ursprünglich anderen Zusammenhängen geschrieben wurden (etwa 'Triptychon', die drei zusammenhängenden Geschichten 'Isi'aRa', 'Sin Tian' und 'Farah', die in seinem 2010 erschienenen Buch 'Und die Asche des Himmels...' keinen Platz mehr fanden). Dazu entstanden 'neue' Geschichten, die während der Zusammenstellung dieses Erzählbandes in handschriftlichen Skripten aus alten Ordnern auftauchten ('Tagebuch Null' etwa), oder aus Notizbüchern übertragen und dabei ergänzt und angepasst (?) wurden. Ja es gibt auch eine Geschichte mit dem Titel 'Anderwelt'. Auch sie entstand aus Einträgen in zwei alten Notizbüchern. Doch ist sie nicht Ursprung des Buchtitels. Das war eher der Gedanke (die Vermutung, die Erkenntnis?), dass es so etwas wie d i e Realität, d i e Wirklichkeit per se gar nicht gibt. Selbst wenn zwei Menschen zur selben Zeit dieselben Dinge sehen, die gleichen Ereignisse wahrnehmen, werden diese in ihren Köpfen, in ihrem Denken zu unterschiedlichen 'Realitäten'. Nicht anders ist es beim Geschichtenschreiben. Wer Geschichten erzählt, begibt sich in andere Welten. Schilderungen, Erzählungen, ja selbst 'nüchterne' Berichte sind geprägt durch die Wahrnehmung, die Erinnerung und das Denken, die Wortwahl des Erzählenden. Alle Geschichten haben also zumindest eine Art oberflächliches Filter seiner Innenwelt passiert. Dort, im Innern des Erzählenden, gibt es aber noch ganz andere Welten, weit entfernt von der äußeren Wirklichkeit. Geschichten von dort, verknüpft aus Träumen unterschiedlichster Verarbeitung, Erinnerungen und Einordnung von Wissen, sie sind Erfindungen des Erzählers. Selbst erstaunt hat R. Hugh dabei die Erkenntnis, wie oft er sich in seinen Geschichten wenig mit der Schilderung 'wirklicher' Wahrnehmung und wie viel mit den Gedankenwelten seiner Protagonisten (seiner eigenen?... !) befasst hat. Seinen Lesern lässt dies allerdings auch die Freiheit, bei eingeschaltetem Kopf-Kino, diese Geschichten in ihre eigenen Welten zu übernehmen. Denn auch was wir hören, was wir lesen, passiert ja zunächst den Filter unserer eigenen Innenwelt. Was wir nicht einordnen können, nicht mit unserer gegenwärtigen Wahrnehmung von 'Realität' oder unserem (allgemein gültigen) Wissen über vergangene Zeiten vereinbar ist, nennen wir Sagen oder Märchen. Geschichten aber, die – erfunden oder nicht – durchaus mit unserer Sicht auf die Wirklichkeit, der Vergangenheit wie der Zukunft, in Einklang zu bringen sind, das sind die 'wahren' Erzählungen aus 'Anderwelt'. Je nach Wissen, nach Herkunft, nach unserer eigenen Entwicklung nehmen wir die Welt unterschiedlich wahr, verarbeiten, verknüpfen Erlebnisse zu unterschiedlichen Ergebnissem und Berwertungen... zu einer anderen 'Wirklichkeit'. Allenfalls als Abgleich aller Blickwinkel, aller Wissenszuordnungen, aller Erfahrungen und Gefühle, aller Träume von allen Menschen könnte so etwas wie d i e allgemeingültige Realität entstehen. Kein Mensch aber hat die Gesamtheit 'unserer' Welt in seiner Gegenwart, jeder lebt in 'seiner eigenen' Welt – von außen (von anderen) betrachtet in 'Anderwelt'. Mit kleinen Prologen zu den einzelnen Geschichten hat R. Hugh versucht, diesen Gedanken, diese Sichtweise sozusagen als 'roten Faden' durch den Erzählband zu weben.
'Schlaflos' (Leseprobe) Wo ist eigentlich die 'wirkliche' Welt? Die Wahrnehmung der 'Realität' findet in unseren Köpfen statt. Ist die 'wirkliche' Welt also das, was in unseren Köpfen, in unseren Gehirnen als chemo-elektrische Vorgänge stattfindet? (Dann gäbe es so viele Realitäten wie es Menschen gibt.) In unserem Innern aber entstehen auch Träume, dort gibt es Unbewusstes, das in keinem direkten Bezug zur angeblich realen Welt steht. Es sind Vorgänge, die ein verzerrtes, zerspiegeltes Abbild der äußeren Welt sind, von unserem Denken dann aber so zurecht gebogen werden, dass sie zumindest für uns selbst wieder stimmig sind. Was entsteht, ist eine Welt in unseren Köpfen – unserem Denken, unserem Bewusstsein –, die sich für uns real darstellt, mit der tatsächlichen Welt draußen vor unseren Köpfen nur gewisse Berührungsebenen hat, ihr aber nicht vollständig entspricht... Auch in den Gehirnen – der Wahrnehmung und Verarbeitung des Wahrgenommenen – aller anderen Menschen spielt sich Ähnliches (nicht Gleiches) ab, was die Diskrepanz zwischen den 'erschaffenen' Welten in den Köpfen noch verstärkt. Nur schwer zu regulieren oder gar zu vermeiden sind dadurch Missverständnisse und Missdeutungen, Fehlreaktionen und Falschhandlungen mit bedeutsamen Konsequenzen bis hin zu Zerwürfnissen im Zwischenmenschlichen...
Schlaflos entstanden 2009 edit 2019/2020
“Papi, schau mal!”, rief Rhianna und schaukelte noch heftiger. Hin und her warf sie ihre Füße, vor zurück, immer höher ging die Schaukel, hinaus über die Mauer hoch überm Fluss. Dann hob sie ihre Arme hoch, rief “Daddy, Daddy, fang mich auf!”, ließ sich auf dem höchsten Punkt der Vorwärtsbewegung vom Sitz herunter gleiten, warf sich lachend und vor Vergnügen kreischend in meine Arme. Ich fing meine Tochter auf, drückte sie so heftig an mich, dass mir schwarz vor den Augen wurde. Grau-grüne Schwärze Alles entgleitet mir...
Der Garten grenzt an einen Fluss, der unterhalb einer drei Meter hohen Mauer vorbei fließt. Rhiannas Schaukel hängt an einer Querstange zwischen zwei hochgewachsenen Nadelbäumen, die einen Großteil des Gartens verschatten. Sanft schwingt das Brett zwischen den langen Seilen im Wind, einsam, verlassen. Da gibt es kein Kinderlachen, nur Unkraut, das aus ungepflegten Beeten wuchert, ein paar Beeren, die rot leuchtend am Busch einige Meter weiter hängen, Blätter, die sich im Wind bewegen, eine Hacke und ein Spaten, die auf der anderen Seite der Schaukel auf einem Reisighügel liegen, der dort zwischen Bäumen und Mauer aufgehäuft ist. Lange schon sind sie nicht mehr benutzt worden, lange schon hat Adrian nicht mehr im Garten gearbeitet. Ja. Holunderbeeren hat er im vergangenen Jahr mit seinem Sohn Ryan geerntet und sie dann zu Gelee und Sirup weiter verarbeitet. Für Ryan war es ein großartiger Tag gewesen, zusammen mit Papa mehr zu machen, als irgendwo in einer Eisdiele zu sitzen, einen halben Sonntagnachmittag Minigolf zu spielen, oder Boulekugeln im Park mehr schlecht als recht über Kies rollen zu lassen. Für Adrian selbst war die Aktion eher ein Beweis, eine Reaktion: “Du siehst Evelyn, wir können das auch ohne dich.” Evelyn, seine Frau hat Ryan bei ihm gelassen, als sie sich mit ihrem Arbeitskollegen aus dem Theater eingelassen, ihn und Ryan verlassen hat. Fast drei Jahre ist das schon her. Adrian blickt auf die Schaukel, fühlt sich seltsam verwirrt, denkt an den seltsamen Traum, der ihn aus dem Schlaf geholt und den gesamten Rest der vergangenen Nacht hat wach liegen lassen. Und nun muss er sich wohl einge-stehen, was ihn die ganzen vergangenen Wochen schon bewegt hat, ihm aber nicht bewusst geworden ist: auch er hat sich verliebt in eine Arbeitskollegin. Nachdem Christina und ihre Tochter in seinem Traum aufgetaucht sind, hat sich alles zusammen gefügt. Die Psyche ist schon ein seltsames Wesen, denkt Adrian. Dass man sich verlieben kann, ohne es selbst zu bemerken. Aber er muss das wohl so akzeptieren. Wie er damit umgehen soll, ist er sich allerdings alles andere als sicher. Eigentlich ist es ein Unding. Christina ist 26, er hat die 50 längst überschritten, auch wenn er sich überhaupt nicht so fühlt. Als er 50 wurde, hatte er sich vorgenommen, von nun an rückwärts zu zählen. Ryan, damals gerade in die Schule gekommen, hatte gelacht, als sein Papa das am Früh-stückstisch erzählte, und gesagt: “Dann musst du auch wieder in die Schule, wenn du so jung wie ein Schulkind wirst.” “Und du”, hatte er geantwortet, “du musst mir die Windeln wechseln, wenn ich wieder ein Baby bin.” Adrian lächelte.
Gänzlich ohne Lächeln ein wirklich seltsamer Gedanke im Zusammenhang mit seinen Empfindungen: Würde Christina ihm die Windeln wechseln? Er wird ihr seine Gefühle wohl gar nicht offenbaren können und für sich behalten müssen. Schließlich ist da der riesige Altersunterschied. Und welche junge Frau lässt sich mit einem alten Knacker ein, wenn er nicht gerade Hugh Hefner heißt oder sonst irgendwie berühmt oder Millionen schwer ist. Außerdem ist Christina verheiratet und Mutter von zwei kleinen Kindern. Doch sie ist nicht glücklich. Er weiß das. … … … … Als sie aus dem Keller wieder nach oben gekommen waren, standen sie im Hof der alten Stadtburg zusammen – er hatte ihnen weder sein Büro noch seine Wohnung oder irgendwas sonst im Haus gezeigt – und redeten darüber, wie schade es doch sei, dass sie die Wohnung im Nachbarhaus nun doch nicht besichtigen konnten – wie sich noch am selben Abend herausstellte, war sie auch bereits vergeben – da hatte Maïrie gefragt, was das denn für eine Zeichnung auf seinem Auto sei. “Das”, hatte Adrian auf die Erdgaswerbung gezeigt, “ist ein Methan-Molekül.“ Die drei-jährige Maïrie konnte mit diesem Begriff überhaupt nichts anfangen. “Medanokiel”, versuchte sie es nachzusprechen, während Chris ihn seltsam anschaute, so als wollte sie ihn fragen, weshalb er versuchte, einer Dreijährigen solche Dinge überhaupt zu erklären. Doch auch bei seinem Ryan hatte Adrian das stets so gehalten, die Dinge beim richtigen Namen zu benennen. “Molekül”, wiederholte er. Und “Moël” wiederholte Maïrie. “Molekül” “Moïkül” Mehrmals noch ging dieses Spiel, und Chris schaute noch erstaunter, als Maïrie das Wort schließlich richtig aussprach und auch im Kopf behielt, denn als Chris und ihre Family sich schließlich verabschiedeten und Adrian wieder in sein Auto stieg, um Ryan von der nachmittäglichen Hausauf-gabenbetreuung abzuholen, sagte Maïrie “Tschüss Molekül” zu ihm. Adrian hatte gelacht und sich gefreut. Nachts war sein Keller wieder als Labor in seinem Traum aufgetaucht und Traum-Chris hatte zu ihm gesagt, die Moleküle passten nicht genau zueinander.
Und ich sitze an meinem Labortisch, starre auf die grau-grünen Schlieren des Bildschirms, dahinter schemenhaft eine dunkelhaarige Frauengestalt in schwarzem Lack und Leder, vorbeiflitzende Symbole und Zahlen 1,9,7,3,9,2... Du öffnest in meinem Rücken eine Tür. Ich drehe mich nach dir um. “Und?”, frage ich in das Dunkel des Raumes, schwarze Wände, dunkler Fußboden, graue Regale und Labortische, wenig Licht “Wir haben ein Problem”, sagst du, gibst mir das Ding, das bläulich aus seinem Inneren leuchtet. Ich nehme es entgegen. “Die Moleküle passen nicht genau”, sagst du. “Du hattest recht. Es geht wohl nur ohne Majo” Mir schlägt das Herz bis zum Hals. So kurz davor. Starren mit unbewegten Augen in die Dunkelheit Alles wird schwarz....
Natürlich passen die nicht, denkt Adrian. Rhianna ist Lionels Tochter... er erschrickt über diesen spontanen Gedanken und hält inne. Sie rief doch “Daddy, Daddy, fang mich auf” und warf sich ihm in die Arme. Aber: “Es geht nur ohne Majo”, hatte Traum-Chris gesagt. An diesen Satz erinnert Adrian sich genau. Mit Majonaise oder ihrer County Majo hatte das aber gewiss nichts zu tun, das würde keinen Sinn ergeben. Maïrie Joanna heißt Chris’ Tochter. Maïrie, in der englischen Schreibweise Mary, davon nehmen wir das “Ma” weg, bleibt “Ry” oder “Rhi”. Von Joanna nehmen ich das “Jo” weg. Das gibt zusammen “MaJo”, und was übrig bleibt, ergibt Rhianna... Adrian stockt der Atem. Der Gedanke lässt ihn in ein tiefes Loch fallen. Er ist ungeheuerlich..., dass ein Traumbewusstsein so etwas zustande bringt! Rhianna ist Chris und Lionels Tochter. Kein Wunder, dass er wach in der Dunkelheit liegt, total verwirrt, nicht einmal wissend, weshalb ihn der Traum so aus dem Gleichgewicht bringt. Rhiannon war seine Wunschtochter gewesen. Was passiert hier Seltsames? Und hat Chris doch etwas geahnt, als er ihr von diesem Traum erzählte? “Wie alt war die denn”, erinnert er sich, hatte sie gefragt. “So fünf oder sechs”, hatte er geantwortet. “Hhm”, hatte sie gemacht. Ihre Maïrie hatte wenige Tage danach erst den dritten Geburtstag.
Vier Mal hat er den Traum seitdem schon gehabt. Jedesmal ist er mitten in der Nacht wach im Bett gelegen. Stets ist es um 2:20 Uhr herum, wenn er nach seinem Wecker schaut... Und warum wird der große Gewölbekeller unter seinem Haus zu seinem Biochemielabor? Biochemie, das war das Fach, das er nach dem Abitur hatte studieren wollen. Daraus ist nie etwas geworden. Seine Noten waren für den damals geforderten Mindestnoten-durchschnitt zu schlecht gewesen. Drei Zehntel oder so pro Semester wären ihm gut geschrieben worden. Das hätte vier oder fünf Semester Wartezeit bedeutet. Die hatte Adrian damals beim Roten Kreuz überbrücken wollen. An der Uni hatte er im Jahr darauf Biologie und Englisch fürs Lehramt belegt und war schließlich doch im Rettungsdienst hängen geblieben. Später hatte er noch zwei Semester Journalismus als Zusatzstudium angehängt und auch bei einer Lokalredaktion ein Volontariat absolviert. Doch in einer Redaktion Fuß fassen, konnte er nie, wollte er nie. Seitdem ist er viel als Freier Journalist tätig, gibt Zusatzunterricht für begabte Grundschüler an der Kinderakademie der Stadt und hat einen 70-Prozent-Vertrag als Rettungssanitäter bei der Notrufzentrale. Daran, ein Labor in seinem Gewölbekeller einzurichten, hat er noch niemals gedacht. Weshalb das so jetzt in seinem Traum auftaucht, ist ihm echt ein Rätsel. Und der Traum verwirrt ihn von Mal zu Mal mehr. Schon die Tatsache, dass er in vier Nächten denselben Traum nahezu identisch träumte, beschäftigt Adrian mehr, als ihm lieb ist. Weder Chris noch der Traum gehen ihm aus dem Sinn. Er weiß nicht, wohin das noch führen soll. Seine Verliebtheit hat gar kein Ziel, wie er das aus seiner Jugendzeit her kennt. Da wollte er, da wollte jeder, den er kannte, so schnell wie möglich mit seiner Angebeteten in die Kiste... Aber dieses Bedürfnis ist in diesem Gefühl zu Chris gar nicht enthalten. Na, ein klein wenig schon, denkt Adrian, während er eines der Bilder betrachtet, die Chris im Netz stehen hat, durchaus auch einige erotische und welche in schwarzem Latex und Leder, wie sie schemenhaft auch in seinem Traum auftauchen. Adrian fragt sich, weshalb Chris das macht? Aber sie sind schön. Na ja, mit Piercings an gewissen Stellen kann er nicht viel anfangen... … … ...
'Anderwelt' (Leseprobe) Man kann sich sehr weit in sein Inneres zurückziehen, kann sich Traumwelten erfinden, Fluchtwelten vor der Wirklichkeit. Man kann seine Erlebnisse dort für sich behalten, gar darin aufgehen... Doch dann entfernt man sich so weit von der 'wirklichen' Welt, dass andere Menschen einen schräg anschauen oder für verrückt halten und (falls man nicht gerade in einer religiösen Verkleidung steckt) in entsprechende 'Heil'anstalten stecken. Man kann seine Erlebnisse aber auch aufschreiben und als Fantasy oder Science Fiction den Mitmenschen erzählen, was einen selbst den Bezug zur 'wirklichen' Welt nicht ganz verlieren lässt. Anderwelt wird so zur Sage, zum Märchen. Und Märchen sind Geschichten, die man zwar nicht als 'wahr' empfinden muss, die aber (nicht nur einem selbst, sondern allen anderen auch) einen veränderten Blickwinkel auf die 'Realität' vermitteln können – mit Auswirkungen auf die Realität selbst: Wölfe gelten als böse, gefährliche Tiere... arme, aschenputtelige Mädchen können etwas werden in der Gesellschaft, wenn..., oder das gute, starke, alle Unbill besiegende Einhorn, dessen fabelhafte Kräfte von der Antike bis heute sinnbildlich benutzt werden. (Wobei man mangels Einhörnern anderes verwendet. So besteht der Thron der dänischen Königin aus Stoßzähnen des Narwals, aus Horn gefertigten Trinkgefäßen werden antitoxische Kräfte zugeschrieben, ebenso zermahlenem Horn der Nashörner in der chinesisch-asiatischen Medizin... Und oft reicht schon der Name, die Erwähnung oder eine Abbildung des Einhorns, um Stärke zu vermitteln, zu beschwören. Der Schild des britischen Staatswappens etwa wird von einem Löwen und einem Einhorn gehalten, oder Sportmannschaften verwenden den Einhorn-Namen, um Stärke zu demonstrieren – im American Football zum Beispiel die 'Schwäbisch Hall Unicorns', die schon mehrmals Deutscher Meister wurden!...)
Anderwelt entstanden 1972 edit 2020
"Ich sah ihn zum letzten Mal dort oben unter den Himmelsbarken, als er mir zuwinkte." Das Einhorn deutete hinauf zu den Wolken. Ein ungelenker Sonnenstrahl fuhr dicht gebündelt über sie hinweg. "Schau dir das an", sagte die Kichergemse und kicherte gar nicht. "Ich möchte nur wissen, was sie gegen ihn haben. Er hat uns doch nichts getan." "Man weiß nie, warum Widerständische einen Aufruhr machen," sagte das Einhorn. "Vielleicht weiß man es, sagt es uns aber nicht," erwiderte die Kichergemse. Sie kicherte, wie meist wenn sie etwas zu verlauten hatte, "Na ja", meinte das Einhorn, "es sind eben Revolutionäre." "Was ist das denn für ein Wort?", fragte die Kichergemse. "Hab ich gelesen. Stand auf einem Schild, drüben bei den Zweibeinigen auf der anderen Seite des Flusses."
Sie hatten sich auf einem kleinen Hügel, unweit einer kleinen Ansammlung von Hütten materialisiert, waren, kaum, dass sie das dazwischen stehende Buschwerk durchschritten hatten, von einem kleinen Wesen begrüßt worden, das ihnen unerschrocken entgegentrat. "Ihr seid andere", sagte es. "Willkommen ihr Abgesandten des Sternschnuppenkönigs!" Sie wunderten sich, dass es Unicom sprach. "Wer bist du?", fragte er nach einer kurzen Pause der Über-raschung. Und zu seiner Gefährtin, die einen halben Schritt hinter ihm stand, sagte er: "Sie hatten schon einmal Besuch." "Ich bin von hier", antwortete das Wesen, das wie ein Sack mit Extremitäten aussah. Zwei lange, feingliedrige Arme und zwei kürzere, dafür kräftige Beine. Oben drauf saß eine Kugel auf dem Sack. "Was ist das?", fragte er und deutete auf die Kugel. "Kopf", sagte das Wesen. Es klang wenigstens nach Kopf. "Und dies?" Er deutete hinüber zu den Hütten. "Dorf", antwortete das kleine Wesen. "Hast du dieses kugelförmige Ding hinter den Hütten unten am Fluss bemerkt?", fragte sie. "Ja. Sie hatten wirklich schon Besuch." "Und das da, unten am Fluss?", fragte er das Wesen. "Das haben die Ohnehaare gebaut." "Die Ohnehaare?" "Ja die, die kein Fell hatten wie wir, sondern nackt waren. Sie sahen uns ähnlich", sagte das Wesen. "Und sie zogen sich Kleider an", fuhr es fort. "Kleider?" "Ja, solche Dinge aus Stoff... kommt, ich zeige euch welche, die sie vergaßen." "Wo sind sie jetzt?" "Wer?" "Die Nackten." "Oh, die sind weg." Das Wesen machte eine vage Bewegung in die Luft." Auf der anderen Seite des Flusses sahen sie mitten aus dem Wald einen Lichtstrahl zu den Wolken hinauf zischen. "Was war das ?" "Ach, das sind die Rebellen. Welche von uns. Zornige, die wir in den Wald verbannt haben." "Und das Licht?" "Das haben sie von den Ohnehaare gelernt."
Die Sonne schien, und weiße, große Wolken zogen über den blauen Himmel. Doch e r ließ sich nicht blicken zwischen den Himmelsbarken. Ein weiterer gebündelter Sonnenstrahl zischte hinauf in die Wolken. "Wie sie das nur machen?", fragte die Kirchergemse. "Diese Widerständischen, sie... sie... nennen sich...'", sagte das Einhorn und wandte sich dann einem Purzelbusch zu, der über die Lichtung heran gerollt war und seine Wurzeln nahe eines Baumstumpfes in die Erde senkte. "Vorsicht Purzelbüschchen", sagte das Einhorn. In diesem Baum-stumpf wohnt ein Schlupp." Doch es war zu spät. Schon kam die gelbe Zunge aus dem Stumpf, ergriff den Purzel-busch und zog ihn hinein. Es machte 'schlupp', als das Büschlein im Stumpf verschwand. "Ich meinte das mit den Sonnenstrahlen", fuhr Kichergemse ungerührt fort. "Sie drehen die irgendwie um, und schicken sie zurück in den Himmel. Wie machen sie das?..." "Ich weiß es nicht", antwortete das Einhorn. "Sie nennen sich Rebellen." "Rehe bellen doch nicht", sagte Kichergemse und kicherte. "Mit Rehen hat das nichts zu tun. Eher mit Reben. Sie trinken viel Wein. Ein ganzes großes Fass haben sie sich abgeholt, drüben bei den Zweibeinigen." Kichergemse kicherte. "Aber wie machen sie das? Das mit den Sonnenstrahlen?" Einhorn zögerte, wiegte seinen Horn hin und her. "Technik?!", sagte es dann. "Bäahh!" Angeekelt wandte sich die Kichergemse ab und trabte, einem weiteren, diesmal großen und alten, mit vielen roten Beeren besetzten Purzelbusch ausweichend über die sonnenbeschienene Wiese davon. '???', dachte das Einhorn. "Habe ich etwas Falsches gesagt?", rief es der Kichergemse hinterher. Kichergemse drehte sich um. "Wie wollen die Rebenbeller den Sternschnuppenkönig mit Technik vertreiben?", rief sie zurück. "Nie im Leben!"
"Wo sind sie hin, die Ohnehaare?" "Dorthin, woher ihr gekommen seid. In das Licht. Sie haben viel Licht gemacht. Mit dem Ding am Fluss haben sie gemacht, dass es in der Nacht hell war." Das Wesen schwieg eine Weile, während sie ihm langsam in Richtung der Hütten folgten. "Ja, und sie hatten viele kleine Dinge", erzählte das Wesen dann, "die summten und sirrten, wenn man auf einen der Knöpfe drückte... kommt ich zeige es euch." Sie hatten Mühe, dem Wesen zu folgen, als es durch Büsche und zwischen Zäunen an den Hütten entlang vor ihnen her ging und plötzlich hinter einer Hütte verschwand. "Denkst du, dieses Wesen ist wirklich intelligent oder ahmt es nur die Besucher nach?", fragte er seine Gefährtin, während sie warteten. "Wenn es wirklich intelligent ist, müssen wir verschwinden", antwortete sie. "Und wahrscheinlich ist es intelligent. Wären die Ohnehaare sonst wieder gegangen?" "Welcher Rasse sie auch immer angehörten", murmelte er.
Zwei Totengräber huschten über die Lichtung auf den alten Purzelbusch zu und begannen, rund um ihn herum, den Boden aufzuwühlen. Der Purzelbusch zirpte und versank langsam in dem sich bildenden Strudel aus von den Toten-gräbern aufgewühlter Erde. Dann schleuderte er all seine Samen von sich. Die roten Beeren rollten schnell aus dem Strudel heraus, um nicht mit zu versinken. Das Zirpen war eine Art Todesgesang der Purzelbüsche, der auch bei anderem Leben rund um die kleine Wiese vernommen wurde. Zwei nahe stehende Diamantholzbäume rauschten mit ihren Blättern, während weitere, diesmal ganz junge Purzelbüsche heran rollten. Sie warteten am Randes des Strudels, um später ihre Wurzeln in den lockeren Boden zu senken. Sie lauschten wie das Einhorn dem Zirpen des versinkenden alten Busches. Als die Totengräber ihre Arbeit getan hatten und die Erde wieder zur Ruhe gekommen war, zischte vom nächstste-henden Diamantholzbaum ein Schößling herunter. … … … …
'Zu Zeiten Flippers' (Leseprobe) Unser Lebensgefühl, unser Ich zu finden, das war in den verrückten Zeiten der 60er-, 70er-Jahre und zum Teil auch noch in den 80ern – obwohl wir zu der Zeit ja eigentlich schon 'erwachsen' genug hätten sein müssen, um es gefunden zu haben – gar nicht so leicht. Es gab einfach zu viele 'Erschütterungen'... Doch vermutlich ist das immer so, wenn man heranwächst, die Kindheit möglichst schnell und die Jugend überhaupt nicht los lassen will. Die Welt um einen herum – nicht nur die Politik – hat immer Aufregendes parat: Mond- und Kriegsraketen, Drohungen, Terrorismus, weltverändernde Ereignisse und Erfindungen wie Computer, Mobiltelefon, Internet: die ganze Digitalisierung, Wald- und Artensterben, Ozonlöcher, Klimawandel und andere Naturkatastrophen... Zwischenmenschliches... Den Lauf der Welt in seiner Bedeutung so richtig erfassen, kann man gar nicht, wenn man selbst mitten drin steckt. Über den Dingen schweben, das alles von außen betrachten, das sollte man können.
Zu Zeiten Flippers entstanden 1987
Ich, du, er, sie, es, wir (!) sind noch hier und warten auf unsere große Stunde (.) ist vorbei (?)..., denn: ausgeflippt, natürlich, waren wir, als sie kam, schließlich. Und wir hörten sie nicht den Horizont entlang kriechen, sahen sie nicht zum Zenit steigen, noch bemerkten wir, wie sie wieder hinab klatschte ins große Plumpsklo des Universums und verschwand. So konnten die Wender den herrschenden Verhältnissen einen neuen Namen geben, während wir, Frieden schaffend, das Land an Ketten legten. (Gib du mir dein Händchen, dann gebe ich dir mein Händchen). Und trotz grüner Pflänzchen zwischen den Kettengliedern ließen wir der Wender und ihrer Freunde Kriegsgerät durch die Maschen schlüpfen. Wir alle waren ja viel zu beschäftigt, selbst Kriege zu führen, psychologische: ich gegen mich, du gegen dich, er gegen sie, wir gegen uns alle. Wir waren viel zu beschäftigt, Terror an uns selbst zu verüben: jene schäumenden Milch-Flips zu trinken, (Bio-Milch, natürlich, mit naturidentischen (!) Aroma-stoffen, in Metallbecher geknallt und kräftig geshaked), jenes Wurmzeug zu knabbern, (aus Mehl und Stärke ge-mengt, in Erdnußöl geröstet und durch den Pfannenwirbel gedreht) - "oh, wie knusprig, knackig frisch-flippig" -, dass uns die Zähne nur so zusammen klebten. Begierig danach waren wir damals schon, als noch kein Denver-Biest oder Tschei-Aar auf den Bildschirmen intrigierten, als wir, abwechselnd und bunt gemischt versteht sich – schließlich waren wir `68 noch etwas schuldig – den Kriegen und (!) dem Freund aller Kinder zuschauten ("Oh Flipper, komm doch auch `mal zu mir in meine Bade-wanne!"), voll Sehnsucht, süchtig. Doch Flipper kam nie, und der Besuch im Delphinarium war eine Enttäuschung. Dafür krankte der Wald und Tierarten starben. Der Wald fühle sich momentan nur unwohl, und die Tiere seien wohl ausgewandert (in ihr Winterquartier), meinten die Wender. Selbst als die Tiere im Frühling nicht wieder kamen, wichen sie nur unwesentlich von ihrer Meinung ab. Für die Autos ließen sie neue Straßen durch die Wälder bauen, für die Frösche einen Tunnel unten durch, damit sie ungefährdet zu ihren angestammten Laichplätzen kommen konnten. Dass der Wald starb, wollten sie noch nicht einmal zugeben, als die Leute vom Fernsehen für die neuesten Folgen der Schwarzwaldklinik auf die Seychellen und nach San Franzisko ausweichen mussten. Professor Brinkmann klebte sich auf seinen Audi einen Kleber 'Mein Auto fährt auch ohne Wald' und brauste über die Highway zum Grand Canyon. Gegenüber, genau geradeaus über die Straße, war eine Gaststätte, wo wir in der Zeit zwischen den Folgen unsere Begierde zu stillen suchten: zipp - tok, tok - Klingeling - zweitausendvierhundertachtundneunzig Punkte - tok, tok, tok. "Flipper dich frei!" Und du tänzelst und singst, kleine Eva..., Flippers weinen nicht, denn sie sind wie die Schmetterlinge. Wie die Schmetterlinge kamen auch die Bequerels in der Nacht aus dem Osten. Die Aufregung war groß: keine Milch-Flips mehr, denn die Milch war plötzlich verseucht. Doch nicht all zu lange, und clevere Geschäftemacher machten aus der Milch Käse, ließen die gefährlichen Bequerels in der Molke zurück, die sie schließlich dem Staat der Wender zuspielten. Weil die Wender aber mit den Bequerels auch nichts anzufangen wussten, packten sie sie auf lange Güterzüge, und schoben die Waggons ihren Kriegsspielern unter. Nachdem sich so der Kreis wieder einmal geschlossen hatte, ließ auch das Gedächtnis der Leute nach, und bald redete niemand mehr von diesem Zwischen-...äh...fall. … … … …
'Schattenwelt' (Leseprobe) Es gibt Welten, die in keinem aktuellen Bezug zur äußeren Realität stehen und sich nur durch die inneren Windungen unserer Gehirne bewegen. Fantasien nennt man sie, oder Träume. Doch auch sie kommen nicht aus dem Nichts. Echos aus der Außenwelt werden zum Erlebnisraum, der Widerhall von tatsächlicher Vergangenheit wird zu neuen Handlungen verknüpft, Faktisches mit neuen Inhalten belegt. Selbst das eigene 'Ich' wird zu etwas, das man – später, wenn man sich aus dieser Welt wieder entfernt hat und das dort Erlebte von außen betrachtet – nicht mehr als sich selbst erkennt. In diesen innersten Welten bewältigt man Geschehnisse und Empfindungen, mit denen man in den äußeren Welten konfrontiert wurde und nicht zurecht kam.
Schattenwelt entstanden 1988 edit 1990
Auf dem Treppenabsatz zum ersten Stock stand in der Ecke ein alter, schwerer Glasschrank. Seltsame Dinge waren darin ausgestellt, Werkzeuge, Gerätschaften, die er als 'archaisch' ansah. Auch ein flaches Gebilde war dabei, das wirkte wie ein Schild, groß wie ein Mensch, bemalt wie ein Traumfänger, flach wie ein Fladenbrot: ein getrockneter, zu einer zwei Finger dicken, ledrigen Schicht gepresster Mensch. Rola war fasziniert von diesem Gebilde, das ihn magisch anzog, seine Schritte verlangsamte, jedesmal, wenn er daran vorbei ging. "Das hat dein Großvater von seinen Reisen mitgebracht", hatte ihm Großmutter erklärt. "Und wo ist Großvater jetzt?" "Großvater ist tot". Und dann hatte Großmutter etwas gemurmelt wie "Möge Ra seiner Seele auf ihrer Wanderung behilflich sein." Sie hatte den Kopf zur Seite gewendet, so dass ihre Gesichtszüge hinter dem Schleier verschwanden, in jenem seltsam hellen Licht, das die glitzer nden Fäden der Gaze reflektierten. Rola glaubte auch, sich an eine Totenfeier erinnern zu können, an das seltsame Ritual, bei dem die Toten Geschenke erhielten. Doch die Totenfeier seines Groß-vaters konnte es nicht gewesen sein. Rola hatte seinen Großvater nie kennengelernt. Aber dass er "bekomme ich dann auch ein Geschenk?" gefragt hatte, das wusste Rola noch, und dass Großmutter sich zu ihm herab gebeugt, ihm das Gesicht gestreichelt und ihm versprochen hatte, dass er sogar zwei Geschenke erhalten würde. Dass er eines davon mit den Geschenken ins Feuer werfen musste, welche die Erwachsenen dem Toten auf die lange Reise zu Ra mit gaben, davon hatte Großmutter nichts gesagt. Und Rola war sehr traurig gewesen, hatte geweint... Erst viel später hatte er erfahren, dass die Erwachsenen die Toten betrogen, die Päckchen mit den angeblichen Opfergaben nur aus Papier bestanden. Die Kinder aber bekamen ein zweites, echtes Geschenk, weil sie noch nicht begreifen konnten, was Opfergaben waren, vielleicht auch, damit sie sich leichter überwinden konnten, so etwas Schönes wie ein Geschenk dem Feuer zu übergeben. Rola erinnerte sich an wunderschöne Bauklötzchen, die er damals geschenkt bekommen hatte, rot und grün und gelb lackiert waren sie. Und er hatte, solange Bauklötzchen ihm überhaupt etwas bedeutet hatten, Angst gehabt, seine Großmutter könnte sie zusammen mit anderem Brennholz in den offenen Kamin werfen. Einmal, das Licht in Rolas Zimmer war schon lange gelöscht, war er aus dem Halbschlaf hochgeschreckt, weil er im Traum seine Bauklötzchen in den Flammen hatte liegen sehen. Rola war aufgestanden und barfuß die Treppe nach unten ins Wohnzimmer gegangen, hatte, immer noch mehr schlafend als wach, unter den Flammen im Kamin nachgesehen. Doch dort hatten auf der Glut nur frisch nach-gelegte Birkenstämme gebrannt und knackende, knisternde Geräusche von sich gegeben. Dann hatte Großmutter ihn angesprochen, die mit Mutter und einem großen, herrisch wirkenden Mann zusammen in den Sesseln nahebei saß. "Darf ich Ihnen meinen Enkel Rola vorstellen, Rojinnh Fannh", hatte Großmutter gesagt, und der große Mann hatte gönnerhaft und wohlwollend genickt. Fragend hatte Rola zu Großmutter aufgeschaut, doch die alte Frau hatte ihn lediglich mit kaum sichtbaren Wink zurück auf sein Zimmer geschickt. Mutter hatte ihn, still in ihren Sessel zurück gelehnt, angeschaut, ein blasses, bewegungsloses Gesicht.
"Und wo ist Großvater jetzt?", hatte Rola mit der Großmutter in seiner Vorstellung gesprochen, dem Gesicht, das vor seinen geschlossenen Augen im Dunkeln schwebte, während er so da lag, unter seine warme Decke gekuschelt. "Auf dem Treppenabsatz im Schrank, Kind." "In der Vitrine?" "Ja." "Der getrocknete Mensch?" "Hmm." "..." Rola schluckte. Angst beschlich ihn. Nichts genau Definierbares. Es war einfach da, stand hinter ihm, hauchte ihm in den Nacken. Die feinen Häärchen, die entlang der Wirbelsäule wuchsen, stellten sich auf, machten ihn so etwas wie frieren. Aber es war nicht frieren. Es war Dunkelheit, bodenlose Unendlichkeit, die dort hinter seinem Nacken begann. … … … … …
Inhalt Vielleicht machen die Titel der Geschichten ja schon neugierig?
'Colin und ich' – Psychogeschichte 'Zu Zeiten Flippers' – vergangene Fernseh-Zeiten 'Anic' – Drogenjahre eines Mädchens 'Monopoly' – Psychogeschichte 'Das harte Lachen fremder Männer' – Lebensweg zum Politagenten 'Schauflug' – Wie ergeht's dem Bruchpiloten? 'Schattenwelt' – Traumweltgeschichte 'Noch eine Woche bis der Hubschrauber kommt' – beim Piratensender '0:0 für Deutschland' – Drehbuchversuch 'Das schwarze Loch' – Psychogeschichte 'Schroedingers Katze' – Autor bei der Arbeit 'Sie hat meine Seele bloß gelegt' – Versuch, Gefühle zu erfassen 'Vielleicht treffen wir uns... morgen' – Aufgewacht zur Nacht 'Traumkonzert' – Gedanken auf der Bühne 'Träume von Träumen' – Innenwelt/Liebeskummer/der Kampf mit sich selbst 'Schlaflos' – Verliebtheit, Träume und die Realität 'Anderwelt' – SciFi samt Einhorn 'Triptychon: *Isi'aRa **Sintian ***Farah' – An den Grenzen der Welt 'Tagebuch Null' – Was wäre (gewesen) wenn... 'Bushveldts Kaninchen' – Seltsame Nacht eines Wachsoldaten 'Carols Flug nach Amerika' – Was wäre wenn... 'Wenn Krieg ist' – gezwungenermaßen 'Korridor B' – Im Kriegsfall setzt die Psyche aus 'Kollaborateur' – Im besetzten Land 'Haz Weio' – von wegen unbelebte Natur |