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Und zu Asja kamen die Schatten
R. Hugh
Tränen rollten die Wangen hinab. Asja weinte.
"Asja-Irena, Asja-Irena", hörte sie die Stimmen flüstern,
"Asja-Kind, komm wieder mit uns, sei fröhlich, lache, tanze,
sei frei!" Doch Asja schüttelte nur den Kopf. Still, ohne einen
Ton von sich zu geben, saß sie da, betrachtete Schatten hinter der
Glaswand, die verschwommen, bald farbig, bald grau in grau hin und her
huschten.
"Ich sitze in einem Glashaus", dachte Asja, "ich höre
Stimmen in meinem Kopf flüstern. Was draußen passiert, ich
nehme es wahr, aber wie durch einen dichten Nebel. Ich selbst bin hier
und kann mich kaum bewegen. Alles ist ein zäher Brei... 'hey Joe,
I heard you shot your woman down'... Hey Asja!"
"Nein Bjon, das darfst du nicht tun, das kannst du doch nicht machen,
nicht mit mir! Ich lieb' dich, Bjon!" Ihre Hand zitterte. Der Revolver
war schwer. Bjon saß auf der Couch, die Augen weit aufgerissen:
"Nein, Asja, nein!!"
Sie hatte abgedrückt.
"Ich schwebe", dachte Asja, "ich falle, ich pralle auf
- irgendwo - und bin tot. Ich schwebe und lebe weiter, schwebe - irgendwo
höher?... tiefer? - alles Gedanken zwischen dir und mir, Bjon. Im
Glashaus war's, und die Splitter haben mich angekratzt. Die Stimmen sind
zu mir gekommen, die fremden Schatten brachten mich in dieses Nichts von
einer Welt. Alles deine Schuld, Bjon. Warum wolltest du mich nicht mehr?"
"Ich schwebe", dachte Asja-Irena, "ich taumle zwischen
Geweben, seidene Fäden, die mich zurück schleudern. Und überall
Splitter. Ich wage nicht zu antworten,, wenn mich die Stimmen fragen.
Bjon, ich habe Angst, die Splitter könnten meine Zunge zerkratzen,
mich verletzen. Alles Gedanken zwischen dir und mir, Bjon. Doch nun ist
es gut... besser?..., nur schweben..., falle weich, bin geborgen zwischen...
Es ist keine Frage von gut oder besser, es ist ganz anders. Ich wusste
es schon immer!"
"Nein, Asja, nein!!", schrie Bjon. Dann gab es einen furchtbaren
Knall. Sein Gesicht verzerrte sich, seine Finger krümmten sich und
krallten sich in die Couchdecke. Sein Oberkörper kippte langsam zur
Seite. Mühsam öffnete Bjon den Mund, als wolle er etwas sagen,
aber nur ein feiner Blutstrom floss. Asja schoss und schoss ein ganzes
Magazin leer. "Ich mach dich tot! Ich mach dich tot!" Mit jedem
Schuss weinte sie mehr. Und dann öffnete sich hinter ihr die Tür.
"Ich sitze in einem Glashaus", dachte Asja-Irena. Sie hörte
die Stimmen flüstern in ihrem Kopf: "Sei wieder fröhlich,
komm mit uns." Doch über Asjas Wangen rollten Tränen. Sie
versuchte den Kopf zu schütteln. Es war zu spät.
"Im Namen des Volkes..." Unter ihrem Stuhl klatschten zwei Kapseln
ins Säurebad. Durch die halb geschlossenen Augenlider betrachtete
Asja die farbigen und grauen Schatten. Sie waren draußen, vor dem
Glashaus, Asja im Innern.
Alles Gedanken zwischen mir und dir, Bjon, komm, hilf mir hier heraus."
Und dann gab es keine Asja-Irena mehr.
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