Korridor B

 

R. Hugh

 

 

Ich sitze auf einem Stuhl und lächle.
Ein Lächeln? Worüber?
Alles scheint sinnlos. Träume sind Schäume, hat irgend jemand mal gesagt.
Vor mir der Tisch. Glatt. Eben. Gerade Kanten. Ich sehe keine Wölbung.
Sagte jemand etwas von einer Wölbung?
Von irgendwoher höre ich türkische Klänge. Vor mir immer noch der Tisch. Aber es ist nicht mehr jener in meinem Zimmer. Trübes Licht, das von einer einzigen Birne kommt. Überall Zigarettenrauch.
Noch ein Lächeln.
Wir sitzen hier unter der Erde. Kein Tageslicht, kein Fenster. Nur Musik, von der sie meinen es sei welche. Die anderen. Ich kann sie kaum erkennen. Es ist zu düster in dem langen Korridor.
Eine Frage...
Wo bleibt die Antwort? Ich warte!
Nichts. Kommt wir geben auf. da kommt ja doch keine Antwort.
Irgend jemand redet. Ich nicht.
Und der Tisch vor mir wölbt sich. Flammen! Ein Geschoß! Die Berichte, schnell! Weg hier!
Da! Da! Die Antwort! Ein Lichtpunkt auf dem Schirm. So weit entfernt.
Die Antwort.
Ach.
Laßt mich doch schlafen. Ich will die Welt nicht sehen. Ich bin müde. Ich bin es müde.
Laß mich schlafen.
Spöttisches Lächeln. ich weiß.

Bolivien. Wie komme ich auf Bolivien? Ich war niemals dort. Trotzdem. Ich weiß, es war Bolivien. Ein Flugzeug brachte mich von dort hierher. Ich saß irgendwo oben und schaute zu, wie das Flugzeug in das grau-braune Wasser des Hafens stürzte.
Die Amerikaner warfen die Bombe!
Riesige Wirbel in der Bucht. Dahinter die Wolkenkratzer-Skyline der Stadt.
Diese Schweine, dachte ich und schaute hinunter auf das Wasser, starr, gebannt, sah zu, wie die Wirbel größer wurden. Wie kommt Bolivien zu einem Hafen? Es liegt doch gar nicht am Meer. Denoch...
Eva sagte, sie wüßte einen Weg, mich herauszuholen. Nur: wer ist Eva??
Das Zimmer, in dem ich saß, war von Schatten in ein olivgraues Dunkel getaucht. Ich starrte weiter hinaus, durch die offene Tür einer Veranda, denke ich, schaute zu, wie die Bombe den Hafen austrank, wie sie die Stadt grau machte.
Der Himmel war aus kaltem Blau.
Die Sonne schien.
Ein weiterer Tag im Leben, vorbei. Ich fühle es.
Warum?
Warum ist die Zeit nicht stehen geblieben, dort in Bolivien? Dann hätte alle Bewegung aufgehört... und es wäre niemals geschehen.
Hinter mir im Dunkel streiten sie sich. Oder ist es einen Flur weiter?
"Ich bring' Dich um", schreit sie!
Und er: "Was habe ich dir getan?"
Und sie wieder: "Du hast ein Galgengesicht, das ist Grund genug!"
Haß. Wut. Eine Dunkelheit lang.
Es stinkt hier.
Schwarze Flecken. Einer davon schläft. Der Rest träumt.
Ich!?
Ich habe auch geträumt. Vor mir der Tisch. Das Telefon hat geklingelt. "Hallo? Ja. Korridor B. Nein. Das geht nicht. Wie denn? Was? Ob ich schlecht geschlafen habe?"
Der Traum!
Wie komme ich dazu, so etwas zu träumen? Langsam lege ich den Hörer auf. Das Gesicht meines Gegenübers auf dem Bildschirm verblaßt. Ein sanfter Glockenton zeigt an: Ende des Gesprächs.
Das ist doch keine Musik. Das sind türkische Klänge.
Nein! Nicht schon wieder.
"Bist du immer noch traurig?", fragt flüstern eine Frauenstimme. Aber ich kann nicht erkennen, wer gesprochen hat. Ich schaue mir über die Schulter. Mein Blick irrt umher. Der Tisch, die weißgetünchte Wand, feucht, ohne Fenster. Hinter mir, in Decken gehüllt, da liegen sie und warten.
Ich bin verantwortlich für sie. Eine einzige Birne erhellt den Raum. Irgendwo dröhnt ein schwerer Motor. An der Wand die Uhr. Die Zeiger berühren sich fast.
Warum?
Es ist Zeit.
Da ist doch ein Fenster. Der Himmel ist blau, kalt - blau. Etwas stürzt herab. Das Flugzeug, das mich aus Bolivien herbrachte.
Jetzt! Es ist Zeit. Die Zeiger der Uhr haben sich berührt.
Es ist Zeit und wir sitzen hier und können nichts tun.
Nichts.
Überhaupt nichts.

 

©1973/85/93

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ernst-walter hug
schwäbisch hall

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