Fiat Lux

oder

1087: als in Hall beinahe das elektrische Licht erfunden wurde

 

R. Hugh

 

Rudolf von Rheinfeldens Recken waren fortgeritten, hin gen Würzburg, Bischof Adalbero wieder in sein Amt zu setzen, das ihm zwei Jahre zuvor in diesem furchtbaren Konflikt genommen worden war. Reginhard, der alte Mönch seufzte, ließ sich nieder auf der Bank unterm Holderbusch am Rand des Friedhofes an der Jakobskapelle, von wo aus man hinab auf die rauchenden Hütten der Salzsieder sehen konnte, hinunter zum Fluss, der dort breit um Sandbänke und kleine Inseln floss, hinüber zur Comburg, über die Baustelle des Kecken Hof hinweg, den im Frühjahr der Staufer geschickt und das Grundstück an der oberen Furt von den Bielriet erwerben geheißen hatte, sozusagen als Mitgift für seinen jüngsten Sohn, der in die Bruderschaft auf der Comburg eingetreten war.
Reginhard aber plagte anderes. Der Nuntius des Heiligen Vaters hatte seinen einstigen Zögling Godebold mit sich genommen, samt Bernstein, Katzenfellen und all diesen wundertsamen Ideen, nach Würzburg nun, und später wohl gen Rom. Ruhe war wieder eingekehrt in den Mönchhof, die Pilgerherberge, die Reginhard einst nach Rückkehr von seiner Italienreise mit dem damals noch jungen Bischof Adalbero gegründet hatte. "Führt die Chorherren zu einem Leben in Gemeinschaft zurück", hatte das Konzil gefordert, "ermahnt sie zum Verzicht auf persönliches Eigentum nach dem Vorbild der Mönche". Er, Reginhard, er war Mönch, ganz erfüllt von dem, was ihn Desiderius de Montecassino in jenem Sommer gelehrt hatte.
Damals hatte alles begonnen: dieses Gezerre um Macht und Einfluss, wem es nun sei, einen Heiligen Vater zu ernennen, oder einen Bischof einzusetzen. Und in all diesen Wirren musste Godebold mit seinem beunruhigenden Tun daherkommen. Warum nur hatte man ihm die Schriften der alten Griechen zugänglich gemacht? Warum nur hatte er den jungen Mann nach Würzburg empfohlen, anstatt ihn zurückzuschicken auf seines Vaters Burg hinüber nach Bielriet. Natürlich hatten die Würzburger den Enkel des Neumünsterstifters bei sich aufgenommen und versucht, ihn die höheren Dinge des Glaubens zu lehren. Man hatte ihm gar seinen älteren Vetter Emehard von Comburg zur Seite gestellt. Auch ihn hatte Reginhard einst unter seinen lehrenden Fittichen gehabt. Doch nein: Godebold war versessen auf gänzlich unheilige Ideen. "Experimente" nannte er sein Tun, aus dem griechischen Elektron, aus Bernstein die elektrische Substanz zu extrahieren.
"Schaut", hatte er zu Reginhard gesagt, "schaut, diese schwimmende Nadel zeigt immer gen Norden, ganz gleich wie ich den Topf auch drehe."
Im Gefolge des fliehenden Bischofs war Godebold nach Adalberos Absetzung in die alte Heimat gekommen, und Reginhard hatte, nachdem man ihn auf des Vaters Burg nicht dulden wollte, seinem gelehrigsten aller Schüler im Gewölbekeller des Mönchhofes eine Ecke neben den Vorräten an saurem Wein und in Sand vergrabener Rüben zur Verfügung gestellt.
Auf dem getrockneten Blatt einer Hainbuche hatte sie gelegen, jene eiserne Nadel gleich jenen, die die Frauen zum Nähen von Kleidung verwendeten. "Doch nun schaut, wenn ich diesen großen Bernstein am Katzenfell reibe und dann dort an einem Faden über den Rand des Topfes hänge, ohne die Oberfläche des Wassers zu berühren...": die Nadel drehte sich wie von Geisterhand bewegt auf den Bernstein hin. Reginhard war zunehmend beunruhigt gewesen. Mit Schrecken erinnerte er sich an jenen Nachmittag, als Godebold ihm die Macht der elektrischen Substanz demonstrierte. Zwei ganze Pfannen Salz aus seines Vaters Anrecht hatte Godebold verwendet, um von Händlern genügend Elektron zu kaufen, große und teure Stücke. Und aus Münzmetall hatte er sich vom Schmied eine dünne, silberne Schnur ziehen lassen. Irgendwie hatte er den Bernstein ins Innere eines kniehohen, hohlen Baumstumpfes appliziert, aus dem auch die Enden des silbernen Fadens ragten. "Berührt die Enden des Silberfadens", hatte Godebold ihn aufgefordert, nachdem er sein auf einen Stab gewickeltes Katzenfell, das den gesamten restlichen Hohlraum des Stumpfes ausfüllte, mehrmals heftig gedreht hatte. Reginhard hatte den Silberfaden zwischen Daumen und Zeigefinger genommen und mit lautem Aufschrei wieder losgelassen. Eine unheimliche Kraft hatte ihn durchströmt, Hände und Arme zucken lassen, hatte selbst seinem Herzen einen Stoß gegeben, und das Blut dick durch die Halsadern gepresst, was ihn heftig atmen ließ. "Die elektrische Substanz" hatte Godebold gesagt und gelächelt. "Und ich kann sie dir auch zeigen." Ohne irgendwelche Wirkung auf ihn hatte er die Silberfäden so gebogen, dass ihre Enden einander zugewandt über dem Stumpf thronten. Dann hatte er sein Katzenfell erneut gedreht und aus den Spitzen sprangen Funken hervor, glühten dämonischen Augen gleich im Dunkel des Gewölbes. "Fiat Lux", frohlockte Godebold, es werde Licht. "Versündige dich nicht", hatte Reginhard geantwortet und war aus dem Keller geflohen. Von diesem Nachmittag an hatte er den Ort und Godebold mehr und mehr gefürchtet, so sehr, dass er im vergangenen Herbst einen ratsuchenden Brief an Desiderius von Montecassino geschrieben hatte. An wen sonst hätte er sich wenden können, nachdem Adalbero seines Amtes enthoben aus Würzburg geflohen war?
Und nun war Adalbero zurückgekommen. In seinem Gefolge ein Bote des Heiligen Vaters, der einen Brief von Desiderius überbrachte, nun Victor III. und legitimer Papst gegen den von Kaiser Heinrich eingesetzten Klemens. Adalbero und seine Mannen hatten von heftigen Kämpfen um Rom berichtet.
Ein Brief des Heiligen Vaters, an ihn!
Er galt Godebolds Experimenten mit Elektron, über deren Gottgefälligkeit sich weder er noch der Heilige Vater im Klaren waren. War es nicht vielmehr Teufelswerk, was Godebold vorantrieb? Die Versuchung des Dämonischen? Ein Hauch von Drachenatem, den er aus dem Dunkel zwischen die Spitzen der Silberfäden zwang? Einzelne Funken nur - und doch... "Was", so hatte Godebold ihm beruhigend geantwortet, "soll daran schlimmer sein, als wenn du mit einem Kienspan vom Herd eine Kerze entzündest, oder Bruder Paolo den Feuerstein schlägt, um neuen Zunder zu entflammen?"
Mit Adalbero war Godebold gekommen, mit Adalbero und den Päpstlichen, mit den Recken des neuen Königs Rudolf, und mit den Mannen, die Graf Burkhardt von Comburg entsandte, war er wieder gegangen. "Zur Buße eine Kirche über den Gewölben des Mönchhofs, geweiht dem Drachentöter Michael...", murmelte Reginhard und seufzte erneut, während er hinüberblickte zur Comburg. Was war nur in die Welt gekommen? Reginhard strich sich gedankenschwer durchs Haar. "Lies," gebot er, die Hand erhebend, doch ohne sich umzuschauen, dem Novizen, der ihn begleitet hatte. "Lies!"
Der Novize zog die Rolle mit dem päpstlichen Schreiben aus seinen weiten Ärmeln hervor
SUB IMMUNITATE HOC SUPPOSITUM EST. QUIQUIS NUNTIUM MOLESTARE AUDEAT, IPSO FACTO EXCOMMUNICETUR
DET: Reverendissimo Domino Reginhardo de Werdeck, Hallae Superiorum, Capella Jacobi, Diocesis Herbipolensis.
CUI SALUTEM DICIT: S. P. Victor III. ANTERIOR Desiderius de Montecassino.
"Ganz recht, das ist es," sagte Reginhard ungeduldig. "Eine Kirche bauen..." Der Gedanke aus diesem Brief wollte ihn nicht mehr loslassen. "Nun lies schon!" Der Junge war noch recht ungeübt. "Accedite ad eum...", der Mönch bekreuzigt sich und sprach den Schriftsegen, der vor dem Lesen oder Schreiben fast so peinlich genau wie der Segen vor den Mahlzeiten gesprochen wurde. Mit einer Handbewegung trieb der alte Reginhard den Novizen an.
"Eine Michaelskirche..."

 

 

 

© 2006

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ernst-walter hug
schwäbisch hall

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