Gedanken bei Nacht
– Erinnerung –

 

R. Hugh

Sie sagte: "Ich weiß was es bedeutet, traurig zu sein."
Sie brachte es fertig, mich so fühlen zu lassen, wie ich es nie zuvor tat. Ich mochte sie. Ich mag sie. Aber ich bin traurig.
Gefühle zwischen...
Sie sagte "Ich weiß." Und sie wusste.
Es gab irgendwo in meinem Körper eine Stelle, die schmerzte. Leise, sanft, ein kühler Schmerz, ein Sehnen... schwer zu beschreiben - vielleicht nur der Anfang eines Gefühls.
Mein Gedächtnis ist matt. Ich mag mich nicht erinnern. Doch die Gedanken drängen. Sie sind ein Knäuel, das es zu entwirren gilt.
Ich sah Sie weinen, sah sie lachen, sah sie tanzen...
Da gibt es ein Bild, das ich von mir habe.
Da gibt es mich selbst, mich, der in allem diesem Bild widerspricht. Ich bin einfach nicht so, wie ich mich mir selbst vorstelle.
Und da gibt es Musik, die mich so fühlen lässt, als sei ich wie mein Bild.
Worte. Worte hinter den Tönen der Musik. Ihre Worte.
Sie sagte: "Ich weiß, was es bedeutet. Ich mag dich gern. Aber auf ganz andere Weise, als..."
Ich sah Sie weinen, sah sie lachen, sah sie tanzen, sah sie sterben. Ich erinnere mich ihres weißen Gesichtes, wie sie an meinem Grabe stand. Blondes Haar umrahmte ihren Kopf. Sie brachte mir Schlüsselblümchen.
Und sie begann von einem anderen Menschen zu erzählen, einem Menschen, den ich nicht kenne. Sie behauptet, sie kennt ihn. Sie behauptet, sie weiß, was dieser Mensch denkt, was dieser Mensch fühlt. Sie sagt, sie weiß, wie er lebt, weiß, was er ist. Sie erzählte und ich hörte zu.
Ich sah sie lachend in meinem Auto sitzen, sah sie sich am Fahrtwind berauschen.
Währenddessen fanden andere zueinander. Und Gedanken kreuzten sich, spannen ein Netz quer durch den Raum, in dem ich mich verfing. Ich konnte nur zuhören. Anderes blieb mir nicht.
Ich erinnere mich ihres Aufschreis.
Es war Nacht, und wir gingen einen schmalen, unbeleuchteten Weg entlang. Eine weiß-schwarze Katze streifte ihr um die Füße. Sie hob das Tier auf und trug es ein Stück mit sich, streichelte das weiche Fell. Und sie erzählte von ihren Gefühlen, die ich in mir aufnahm.
Ich sah sie tanzen in der Menge, wild und ungestüm, sanft und zärtlich an mich geschmiegt. Ich erinnere mich, wie ich sie tanzen sah mit den Wolken, mit dem Wind...
Nichts, nichts davon gab ich zurück, schweigsam, wie ich war. Ich hatte nur Gedanken, die sich mit anderen Gedanken kreuzten. Schwache Silberfäden im Dunkel, wie Spinnfäden aus einer anderen Welt. Derweil zerrissen andere Gedanken ein Zweisein. Weit entfernt schwebte ein dreisames Ich – unschuldig, unwissend, gefangen in sich selbst.
Bruch!
Ich sah Sie weinen, sah sie lachen, sah sie tanzen, sah sie sterben. Ich erinnere mich ihres weißen Gesichtes, wie sie an meinem Grabe stand. Blondes Haar umrahmte ihren Kopf. Sie brachte mir Schlüsselblümchen.
Ich sah sie lachend in meinem Auto sitzen, sah sie sich am Fahrtwind berauschen. Ich erinnere mich ihres Aufschreis.
Ich sah sie tanzen in der Menge, wild und ungestüm, sanft und zärtlich an mich geschmiegt. Ich erinnere mich, wie ich sie tanzen sah, mit den Wolken, mit dem Wind.
Ich sah sie sterben, einsam, in der Menschenmenge der Großstadt. Ich sah sie untergehen, gleich hinter jenen Bäumen, die mein Grab umsäumen. Ich erinnere mich, wie sie sich nochmals umwandte, mir zuwinkte, wie ich davon raste, mich überschlagend, in Purzelbäumen umherwirbelnd, eingeschlossen in einer Stahlkugel und zerfetzt von Glassplittern.
Ich erinnere mich – und bekenne mich schuldig.

Wir gingen eine schmale, unbeleuchtete Straße entlang. Die Katze war irgendwann im Dunkel verschwunden.
"Kennst du ihn wirklich?", fragte ich. "Weißt du, was dazugehört, jemanden zu kennen?"
Sie sagte, sie wisse. Gedanken hinauf, über Berge und Täler, Flüsse und Wälder, ein Bild vor den Augen, das man zu kennen glaubt.
Ich erinnere mich ihres Aufschreis.
Und wäre da eine Berührung gewesen, nichts hätte an dem Bild etwas verändert. Aber Bilder sind nicht die Wirklichkeit.
Sitzen auf glühenden Kohlen... Es ist schlimm, von welcher Art Gedanken an das Dreisein sind.
Wir wurden in die Nacht geschickt, um uns selbst zu erleben. Sie machte mich fühlen, wie ich es nie vorher tat. Losgelöst von üblichen Gedanken war ich nichts, als ein Objekt, das zuhörte.
Ich sah sie tanzen, mit den Wolken, mit dem Wind.
Es war da ein Lauern auf das Ungewöhnliche. Etwas, das sich versteckt hielt im Unbewussten, bewegte sich mit uns durch das Schwarz.
Ich sah sie untergehen, gleich hinter jenen Bäumen
Ich hatte ihr nie etwas von meiner Traurigkeit erzählt. Ich wollte mich vom Dunkel nicht abheben. Aber sie sagte mir, sie wisse.
Die Nacht war kühl, die Sinne suchten nach einem Zeichen – doch sie begegneten sich nicht. Lichtfinger am Nebel verhangenen Himmel, ineinandergreifend wie Zähne eines Zahnrades. Reflexe auf das Unbekannte, das Neue. Schatten, die sich gegen einander stemmten, sich gegen das Unbekannte, Unerforschte wehrten.
Ich erinnere mich, wie sie sich nochmals umwandte, mir zuwinkte, wie ich davon raste, mich überschlagend, in Purzelbäumen umherwirbelnd, eingeschlossen in einer Stahlkugel und zerfetzt von Glassplittern.
Nein! Nein. Vielleicht...
Dann Lichter, Glas und Beton: ein Zuhause.
Sie wusste. Doch es war nur ein ganz gewöhnlicher Abendspaziergang.

 

© 1975 / 1977
mix up (1972/2007)

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ernst-walter hug
schwäbisch hall

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