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Sabotage
R. Hugh
"Wir hätten so weit ins Schilf gar nicht hineinfahren
dürfen, lieber Marc", meinte Sibille und brachte das große
Gummiboot erneut zum Schaukel, als sie sich in den Slip ihres Badeanzuges
wand.
"Wieso?", fragte Marc mit seinem starken Akzent, den man ihm
selbst bei einem so kurzen Wort deutlich anhörte.
"Weil das...", sie drehte sich um, was das Boot noch mehr ins
Schwanken brachte, - "mach mir mal den Haken zu" - und hielt
ihm die Enden ihres Bikini-Oberteils hin, "...weil das ein geschütztes
Gebiet ist hier. Verstehst du?"
Marc verstand nicht, wie seinem fragenden Gesicht anzusehen war.
"Verboten, Marc! Wegen der Seerosen und den Vögeln."
"War gut, was?", fragte Marc.
Sibille lächelte. "Ja, Lieber, war schön." Sie boxte
Marc leicht auf den Bauch und strich sanft über seinen Oberarm.
Und Marc beugte sich hinaus, brachte das große Schlauchboot in arge
Schräglage, pflückte eine der weiß-rosa Seerosen, die
auf dem dunkel-trüben Wasser schwammen. "For you, little darling",
sagte er. Er steckte die Blume in Sibilles Haar, die etwas zurückwich,
weil kalte Wassertropfen auf ihre erhitzte Schulter fielen.
"Auf deutsch, Marc. Du hast es versprochen, außerhalb der Kaserne
nur Deutsch zu sprechen."
"Das ist so schwer, Sibill: 'fur dig, kleiner Liebling."
"Danke", antwortete Sibille. "Deshalb ist das trotzdem
nicht erlaubt. Die Seerosen stehen unter Naturschutz. .. Komm Marc, lass
uns zurückrudern." Sie gab Marc einen flüchtigen Kuss und
ließ sich zurückfallen, was das Boot erneut in heftige Bewegung
brachte.
"Hey, tell me, warum soll ig Deutsch spreken außerhalb der
barracks? Du kannst dok mein Spra... oh fuck, these bloody si-eitsches..."
"Weil ihr euch nie richtig bemüht, Marc. Ihr tut immer so, als
seid ihr hier diejenigen, welche.... Warum sollen wir eure Sprache lernen?
Wir haben schließlich auch eine, die sehr schön ist, auch wenn
mein lieber Marc seine Schwierigkeiten damit hat." Sie lachte vor
sich hin, während ihre Zehen am linken Oberschenkel Marcs auf Wanderschaft
gingen, sich weiter oben durch den Stoff zu bohren versuchten. "Weißt
du", fuhr sie fort, "in dieser Beziehung gebe ich den Leuten
recht, die euch immer noch als Besatzer bezeichnen und euch am liebsten
eher heute als morgen aus dem Land haben wollen."
"Lass das nigt so laut horen. Wenn der Colonel das hort, dass du
sagst dies Saken, dann schmeißt er dein Bruder raus von die Hubschrauber
maintenance. Wenn der nur Verdagt hat, jemand von die Arbeiter, oder ein
Bruder, oder ein Schwester oder ein andere member von die family ist ein...,
ein,... what is 'member' ?"...
"Mitglied."
"... ist ein Mitglied von die Friedens campaign, you know, he's gonna
fire them...! Hey, stop that, babe.!" Marc packte Sibilles Fuß,
der sich zu weit vorgewagt hatte.
"Pass auf, du verlierst ein Paddel!", rief Sibille und lachte
über Marcs Gesichtsausdruck. "was ist?", fragte sie dann.
"Hast du das nicht gerne?" Sie spitzte Mark mit Wasser naß,
das sie mit der Hand aus dem Teich schöpfte. "Oder liegt es
daran, dass Roland und Karin uns sehen könnten?" Sie hob die
Hand und winkte zum Ufer hinüber , rief so lange "huhuuuh!",
bis an Marcs Camping-Van eine Tür aufging und Roland herausschaute,
Sibille nahm, während Mark kräftig zum Ufer ruderte, die Hand
wieder herunter und ließ sie über Bord ins Wasser hängen.
"Weißt du", sagte Marc mit vom Rudern angestrengt klingender
Stimme, "ig finde , es ist gut, dass Leute sig maken Gedanken, aber
nigt, wenn mein girl-friend das tut. Wir sind nämlig nigt hier, Deutsch
su lernen, aber um Frieden su maken." Marc lachte. "So sagt
unser Colonel... und der hat immer rekt."
"Na hör mal", sagte Sibille. "Ich fände es aber
gut, wenn alle von euch Deutsch lernen müssten. Ihr lebt ja schließlich
auch hier und sollt uns verteidigen. Und was die Friedensbewegung angeht:
ich sag' ja nur, dass die Leute in diesem Punkt nicht unrecht haben. Was
da manche sonst alles noch androhen, das hat mit Frieden ja weiß
Gott nicht mehr viel zu tun. Mich kann man allenfalls zu einer Sympathisantin
derjenigen machen, die mit Worten und Argumenten vorgehen. Oder bist du
nicht der Meinung, dass ihr genügen Panzer, Raketen und Cruise Missiles
hier habt. Ihr braucht nicht auch noch Giftgase in unser Land zu bringen."
Marc antwortete zunächst nicht, ruderte stumm weiter. Als sie knapp
vor dem Ufer waren, kam Karin aus dem Wagen, rief ihnen zu, sie sollten
sich beeilen, der Kaffee sei fertig.
"Du hast dok gesehen", sagte Marc, als er die letzten Meter
zum Ufer zurücklegte, " ein paar Jahren ago, wenn wir neue Raketen
und die Cruise bragten hierher, dass wir nigt haben genug Waffen. Die
Reds tun dok nigt verhandeln. Und die Giftgranats sind kein Saken, wie
wir hatten in Vietnam, aber binary... means..."
"Ja, ja. Ich weiß das. Lass uns nicht streiten Marc. Hilf mir
lieber aus dem Boot." Sie streckte Marc, der bereits mit einem Bein
an Land stand, ihre Arme entgegen.
"Ig will nigt streiten mit dir, too, Sibill, ig mein nur, dass ein
Teil von die Friedens campaign sollte nigt maken ein sweite Front within
dies Land hier. Das ist dok kein Friede maken, wenn sie werfen Bombe gegen
GIs und andere military people."
Sie zogen gemeinsam das Schlauchboot aus dem Wasser und Marc ließ
die Luft heraus. Er trat mit dem Fuß gegen die Wülste, damit
es schneller ging.
"Das sind doch nur ganz wenige. Die meisten..."
"Nein lass das, Sibill. Ig make das. Wenn du su stark dagegen tritts',
dann kann ein Lok reingehen, vielleigt, und dann ist das sabotage. Dann
is Roland erst regt dran, rausgeworfen su werden.
"Ach komm, was hat das mit Roland zu tun!?"
"He's a German. Und er arbeitet mit die Hubschrauber. Tanken und
so. Und er geht mit mir, ig bin American, in die Bade mit mein Auto, und
sein Schwester makt ein Boot von die 'Aus-ris-tung' - correct? - von die
Hubschrauber kaputt. Das ist sabotage." Marc lachte und hob das entlüftete
und mittlerweile zusammengerollte Bündel an einem Ende hoch. "Komm
hilf mir das to get on the van."
Sie schleppten das Bündel, das eben noch ein Schlauchboot gewesen
war, zum Campingbus, verstauten es dann aber doch nicht, denn aus der
jetzt geöffneten Wagentür strömte ihnen Kaffeeduft entgegen.
Roland und Karin, die keine Lust gezeigt hatten, im Schlauchboot mit ihnen
auf den See hinauszufahren, was Sibille und Marc nur recht gewesen war,
hatten in Marcs voll ausgebautem Wagen eine Kaffeetafel aufgebaut. "That's
good", murmelte Marc und ließ das Schlauchboot einfach fallen.
"German Gemutligkeit"
Nach dem Kaffee wollte Karin Eis haben. Da es aber in dem kleinen Kühlschrank
in Marcs Van keine Eiscreme mehr gab, beschlossen sie, in die Stadt zu
fahren. Doch der Weg zurück zu Hauptstraße war im nächsten
Dorf bereits gesperrt. "Das gibt's doch nicht", meinte Roland,
"wir sind doch vor kaum vier Stunden über diesen Weg hergekommen.
Er stieg aus und schaute nach, weswegen jetzt, am Wochenende die Straße
aufgerissen wurde.
Neben dem frisch aufgeworfenen Hügel aus Straßenbelag und Erde
parkte ein graues Fahrzeug. Und über einem Teil des Grabens war ein
Zelt aufgebaut. Ab und zu erschien über dem obersten Rand des Grabens
ein Teil von einer Schaufel und ein kleines Häufchen Erde und Steine
flog ein Stück durch die Luft, bevor es den Erdhügel um sein
Teil vergrößerte.
Marc und die Mädchen waren immer noch in ausgelassener Stimmung und
schauten mehr beiläufig denn interessiert zu, wie Roland auf den
Erdhügel kletterte und mit jemand unten in dem Graben, der sich quer
über die ganze Straße zog, sprach. Die Musik aus der fantastischen
Stereoanlage in Marcs Van war viel zu laut, als dass man trotz des offenen
Fensters etwas hätte verstehen können.
"Telefonleitungen", sagte Roland, als er zurück kam. "Wusste
gar nicht, dass Telefonleitungen auch am Wochenende so schnell repariert
werden. "Magt nix", meinte Marc. "Ig kenne ein Umleitung.
Is nur ein Farmweg, aber es geht um unsere amunition depot wieder
auf dies' Straß', an dem anderen Ende von das Dorf hier. Bin ig
schon mit die Jeep gefahren." Er setze mit seinem Van einige hundert
Meter zurück und meinte dann: "here!"
Er lenkte das Fahrzeug in einen sehr schmalen Feldweg, der einen Waldrand
entlang um das Dorf herum zu führen schien. "Diesen Wiese here",
erklärte Marc, "is alles Sumpf und ganz weiche Boden. Und da
drüben, das kleine area with the trees, da haben wir unsere Depot.
Dort mit de Saun, you see?"
Plötzlich hörte der Weg auf.
"Was jetzt?", fragte Roland. "Hast du dich auch nicht getäuscht?
Sagtest du nicht, du seist hier schon mal gefahren?" Vor dem Van
schob sich eine Fichtenschonung über den Weg, wie eine Landzunge
in die feuchte Wiese zur Linken hinein. Dort wo der Weg hätte sein
sollen, verloren sich Fahrspuren von einem Traktor zwischen den jungen,
etwa ein Meter großen Bäumchen. "War wohl nichts",
meinte Sibille. "Wann war das denn, als du mit dem Jeep hier gefahren
bist?"
"Weiß nigt, a few weeks ago."
"Aber in ein paar Wochen wachsen doch keine meterhohen Bäumchen."
Marc zuckte die Achseln. "Hat jemand..., ah, what's 'planting' ?...
"Pflanzen..."
"Ja, genau das." Er legt den Rückwärtsgang ein und
begann den gesamten Feldweg zurückzusetzen.
"Wir müssen doch, verdammt nochmal, irgendwie zurück zur
Bundesstraße kommen", meinte Roland.
"Fahren wir eben querfeldein", schlug Karin vor.
"Geht nigt. Das Van here is nigt fur Gelande gemagt. Und das dort
is alles Sumpf", entgegnete Marc. "Fahre mir zuruck an de See
und bade solang, bis die Telefon is fertig." Sie lachten alle.
Als sie schließlich nach einem langen Umweg doch auf die Bundesstraße
fahren konnten, meinte Roland, als sie wieder an der Abzweigung zum Dorf
und zum Munitionsdepot vorbeikamen, dass er es schon seltsam finde...
"Was denn", wollte seine Schwester wissen.
"Habt ihr nicht gesehen, dass auch an dieser Abzweigung gebaggert
wurde?
"Wo?"
"Na an der Abzweigung, die zur Muna führt. Da stand ein Bagger
und riss die Straße auf. Und das an einem späten Samstag Nachmittag."
"Du hast falsch gesehen."
"Nein! ... Wisst ihr was? Ich glaube, die versuchen das Depot zu
blockieren. Das sind diese Friedensspinner. Da mache ich fast jede Wette.
Überlegt doch mal: der Telefongraben, die Fichtenschonung und jetzt
hier der Bagger: alle Wege zum Munitionsdepot sind blockiert. "
"Hhm."...
"War da nicht was im Radio, dass es heute einen Großdemonstrationstag
geben soll?"
"Ja", sagte Marc. "Da haben heute some people,ähm Leute solche leaflets
verteilt an die Kasern. Look under your seat, Sibill, I think...,ah, ig
denke, ig hab das dort hingeworfen."
"Was steht denn drauf?"
"Ig hab' das nigt gelesen."
Sibille kramte unter ihrem Sitz und förderte das zerknüllte
Blatt zu Tage.
"Gib her!", sagte Roland und schnappte sich das Papier.
"Hey, ich kann selbst lesen", protestierte sie.
Doch Roland war schon dabei das Blatt zu glätten. Er überflog
den Text, bevor er das Blatt an seine Schwester zurückgab. "Schrott!",
war sein einziger Kommentar.
"Und was steht da?", fragte Karin.
"Sie machen eine Demonstration am Haupteingang vom Camp", antwortete
Sibille.
"An die Kasern?"
"Ja."
"Dann gehen wir eben in der Stadt unser Eis essen", meinte Karin.
"Italienisches Eis schmeckt auch gut.
"Steht das mit die Kasern auf de Flugblatt?"
"Ja. Und noch 'ne ganze Menge anderes Zeug. Hast du's nicht gelesen?"
"No. Hab ig dok gesagt."
"Unsere Bäume sind schon kaputt genug", zitierte Roland,
der das Flugblatt wieder an sich genommen hatte, mit affektierte Stimme
den Text, "wir werden nicht dulden, dass ausländische Besatzungstruppen
mit ihren waffenklirrenden Manövern unsere Wälder und Fluren
noch mehr zerstören. Wir kündigen Widerstand an, gegen die weitere
Gefährdung unserer Zivilbevölkerung.
"Fehlt nur noch", meinte Karin und versuchte kichernd Rolands
theatralische Ausdrucksweise zu übernehmen, dass sie vom 'Schutz
deutscher Mädchen vor ausländischen Horden und Vergewaltigern'
zu schreiben anfangen.
"War Sibilie etwa freiwillig mit Marc auf dem See heute nachmittag?",
fragte Roland spöttelnd. Sie lachten alle.
"Was soll's", meinte Marc, "ein paar Irre mit Schildern,
die im Kreis herumlaufen."
"Täusch dich da nicht, Marc. So laufen amerikanische Demonstrationen
vielleicht ab. Sieht man zumindest im Fernsehen so. Nicht hier."
Sibille schloss das Fenster auf der Beifahrerseite, weil ihr der Fahrtwind
fortwährend eine Haarsträhne ins Gesicht wehte.
Und Roland meinte, als sie die ersten Häuser der Stadt erreichten,
"finde ich aber schon ganz irre, die Idee..."
"Was?"
"Na, mit einer Demo halten sie die Polizei in der Stadt fest, und
draußen blockieren sie mit ihrer Buddelei das Munitionsdepot von
allen Seiten. "
"Ach Roland, das sind Hirngespinste. Das waren Telefonarbeiter. Du
warst doch selbst an dem Graben dran."
"Aber gesehen habe ich nicht viel", entgegnete Roland. "und
der Arbeiter sahen nicht wie die von der Post aus, wenn ich recht überlege..."
"Rekts sum Kasern, oder links sur italienische Eisdiele?"
"Eisdiele", sagte Sibille.
"Und dann die Tannenschonung auf dem Waldweg", fuhr Roland fort.
"Die war frisch angepflanzt."
Marc war gerade auf die Kreuzung hinausgefahren, als ein Farbbeutel die
Windschutzscheibe traf und ihm die Sicht nahm. Er trat heftig auf die
Bremse, brachte den Van zum Stehen. Eine Gruppe frustrierte, weil als
Militante von der Demonstration vertriebener Leute ging johlend auf den
Wagen zu. Weitere Farbbeutel flogen. Harte Gegenstände folgten. Die
vier im Inneren waren zunächst total überrascht, bis Marc als
erster reagierte und den Sicherungsknopf drückte, während er
gleichzeitig die Seitenscheibe auf seiner Fahrerseite hochfuhr. "Mak
die Turen su !", schrie er.
Und von draußen hörte man: "Kommt, die packen wir uns!"
Der Van begann zu schaukeln. Eine Seitenscheibe zersplitterte, blieb aber
im Rahmen. Bremsen quietschten, Leute schrien, Gejohle antwortete dem
Protest anderer Autofahrer und von Passanten.
Marc konnte nichts sehen, trat aber dennoch das Gaspedal voll durch. Autogehupe.
Ein Schatten tauchte vor der Windschutzscheibe durch die Farbe hindurch
auf. Die Windschutzscheibe splitterte. Es gab einen furchtbaren Stoß.
Alle vier wurden sie nach vorn geschleudert. Karin kreischte. Sibille
wurde erst nach vorn geschleudert und dann, weil sie sich angegurtet hatte,
nach hinten, schlug mit dem Kopf hart gegen den Einbauschrank und sackte
zusammen. Der Wagen begann wieder zu schaukeln. Die Angreifer hatten immer
noch nicht nachgelassen. Eine Scheibe des Vans wurde mit mehreren Schlägen
eingeschlagen. Dann flog etwas herein und zerschellte. Plötzlich
roch es im Wagen nach Benzin. Weit entfernt konnten Marc, Roland und Karin
eine Polizeisirene hören.
Und dann war es plötzlich vorbei.
Stille.
Nur ein paar Passanten riefen hinter den Flüchtenden her.
Karin hatte sich gefangen und Sibille erwachte aus ihrer Benommenheit.
"Werf ein Decke uber das", sagte Marc zu Karin. Die schaute
ihn verständnislos an. "Nimm die Decke dort, und werf sie uber
das Bensin. Wir wolle dok nigt in die Luft fliegen, oder?"
"Kein Sauerstoff, kein Brand", erklärte Roland, half Karin
mit der Decke. "Ich glaube, wir sollten hier raus", meinte er
dann und öffnete die Schiebetüre. Marcs Tür klemmte, und
so stiegen sie alle auf der Beifahrerseite aus.
Einige Passanten klatschen, als sie aus dem demolierten Van gekrochen
kamen.
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