Sie hat meine
Seele bloß gelegt

R.Hugh

 

Konzept für einen Trivialroman in 11 Bildern,
erfunden nach dem wirklichen Leben und einer
Vorlage des nordirischen Autors Robert Shaw

 

Bild 1
Er fühlte sich angespannt wie eine Feder.
Warum?
Weil es Helen gab.
Seine Gefühle zu ihr, ihre Gefühle ihm gegenüber, das war wie ein Spiel von Kräften, die an ihm zerrten, die er aber nicht kontrollieren konnte. Das Bild von den Spielzeughunden mit den Magneten in der Schnauze fiel ihm jedesmal ein, wenn er sich so fühlte. Genauso war seine und Helens Beziehung. Wie die zweier gleichpoliger Magnete zueinander. Jedesmal wenn ein Hund sich dem anderen näherte, drehte sich der andere blitzschnell um die eigene Achse. Zwei gleiche Magnetpole stießen sich ab. Hatte der Hund sich aber einmal umgedreht, dann war er zu jeder Annäherung bereit. Gegensätzliche Pole zogen sich an.
"Komme her! Geh weg! Komm her! Bleib wo du bist, rühr mich nicht an! Komm! Komm doch,komm... hahaha." Wie lange noch?

Bild 2
"Komme her! Geh weg! Komm her! Bleib wo du bist, rühr mich nicht an! Komm! Komm doch,komm... hahaha." Wie lange noch? Auch Helen mußte wissen, wie das mit ihnen beiden lief. Sicher. Sie wußte es. Und: sie besaß eine Fähigkeit, die Jan nicht besaß. Sie konnte die Wechselspiele ihrer Gefühle zueinander in eine Waffe verwandeln, die sie unbarmherzig einsetzte, um ihn niederzumachen, sobald es ihr einfiel. Stumm nickte Jan mit dem Kopf , gedankenverloren. Und unmerklich ging sein Kopfwackeln in eine Schütteln des Kopfes über. Eigentlich, so dachte er, sollte er Helen dafür bestrafen. Er wollte ihr genau so weh tun, wie sie ihm wehtat. Aber wie? Und...warum?
Damit er sie in den Arm nehmen konnte, sie zu trösten, gab er sich selbst die Antwort.Perverse Gedanken, dachte Jan, während er Helens Silhouette im erleuchteten Fenster betrachtete.

Bild 3
Perverse Gedanken, dachte Jan, während er Helens Silhouette im erleuchteten Fenster betrachtete. Helens Schatten im Gespräch mit einem zweiten. Eine dritte Gestalt im zweiten erleuchteten Fenster. Sie hatten Gäste, und dennoch stand er hier auf der Straße, im Schatten eines Hauseinganges auf der anderen Straßenseite. "Trink Milch!", schrieen stahlblaue Buchstaben einer Leuchtreklame von der Hauswand nebenan: Leuchtreklame für Trinkmilch - als ob es andere gäbe - trink Milch!, trink', trinke, ertrinke!! "Ist das nicht die Hölle?", fragte das flackernde "Trink"-Licht, dessen Leuchtstoffröhre irgendeine Macke hatte. "Ist das nicht die Hölle? Und warum machst du das überhaupt mit?"

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Ist das nicht die Hölle?", fragte das flackernde "Trink"-Licht, dessen Leuchtstoffröhre irgendeine Macke hatte. "Ist das nicht die Hölle? Und warum machst du das überhaupt mit?"
"Ich...", setzte Jan an, der flüsternden inneren Stimme zu antworten...("...liebe sie", hatte er sagen wollen). Wie kam er nur dazu einer inneren Stimme zu antworten? Blödsinn. Solche Einflüsterungen sollte man ignorieren. Und außerdem: stimmte das noch? Er hatte Helen einmal geliebt, gewiß. Aber galten sie noch, diese drei kleinen Worte, die er ihr so selten zugeflüstert hatte, weil er sie einfach für zu groß befand:"Ich liebe dich!"? Jan wußte es nicht.

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Diese drei kleinen Worte, die er ihr so selten zugeflüstert hatte, weil er sie einfach für zu groß befand:"Ich liebe dich!"? Jan wußte es nicht. Während er so dastand und zu den Fenstern seiner Wohnung - ihrer gemeinsamen Wohnung - hinaufstarrte, war er sich sicher, daß er nie genügend frei sein würde, um jemand anderen haben zu wollen. Eine andere haben wollen? Jan verdrängte diesen Gedanken. So schlimm war der Streit nicht gewesen. Daß er sie eines Tages einfach nicht mehr haben wollte, das dachte Jan immer dann, wenn sie das Spiel überzogen hatte, wenn sie ihre Gefühlswaffe zu ätzend über ihn gezogen hatte. Doch wie er so in dem dunklen Hausflur stand, war er sich sicher, daß er nie genügend frei von Helen sein würde. Nannte man das noch Liebe? Oder war das etwa die wahre Liebe? Ein Teil von davon? Dann war all das, was vorher gewesen war, bis vor wenigen Jahren noch, nur Verliebtheit...? Verliebtheit in ein Wesen, einen Körper, ein... was? Jan hörte Helen lachen.

Bild 6
Jan hörte Helen lachen. Sie hatte die Fenster geöffnet, schaute kurz heraus. Dann drehte sie sich wieder weg, zurück ins Zimmer, lachte mit ihren gemeinsamen Freunden...( über ihn?, weil er so lange wegblieb, nur um Zigaretten zu holen? )..., als hätte sie den Streit von vorher schon vergessen.
"Na gut", dachte er ingrimmig,"wenn das so ist..." Ein vorbeifahrendes Auto brachte den gefaßten Gedanken in Unordnung, ließ ihn schwinden, machte den Entschluß zunichte. "Komm doch...",lockte statt dessen Helens Gedankenstimme ein weiteres Mal zum Spiel.

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"Komm doch...",lockte statt dessen Helens Gedankenstimme ein weiteres Mal zum Spiel. Helen beugte sich erneut aus dem Fenster, schaute die Straße entlang. Jan drückte sich noch tiefer in den Hauseingang. In dem Schatten, den Leuchtreklame und Straßenlaterne warfen, konnte sie ihn bestimmt nicht erkennen. "Gib dir keine Mühe, Sigrid", hörte er Helen hinter sich ins Zimmer rufen, "Jan hat an keinem Spiel Spaß, wenn er nicht gegen die Regeln verstoßen kann." Sie warf weitere Blicke die Straße hinauf und hinunter und ging dann ins Zimmer hinein vom Fenster weg. Er verstieß gegen die Regeln? Eine weitere Gemeinheit von Helen, eine Spitze gegen ihn, obwohl sie doch gar nicht wissen konnte, daß er sie hörte, war Jan sicher, daß sie es gesagt hatte, damit er es hörte.

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Er verstieß gegen die Regeln? Eine weitere Gemeinheit von Helen, eine Spitze gegen ihn, obwohl sie doch gar nicht wissen konnte, daß er sie hörte, war Jan sicher, daß sie es gesagt hatte, damit er es hörte. "Wir beide spielen ein Spiel, ja", dachte Jan,"aber da verstoße nicht ich gegen die Regeln."
Etwas stieg in ihm hoch, drückte von innen gegen seine Kehle, schnürte ihm den Hals zu."Sie hat meine Seele bloßgelegt...", dachte Jan. Er schluckte, trocken, leer (keine Milch zu trinken, ha! ha!), doch der Druck wich nicht. Immer noch fühlte er sich angespannt wie eine Feder.

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Immer noch fühlte er sich angespannt wie eine Feder. Sein Verhalten war kindisch, das wußte er. Hier im Dunkeln auf der Straße zu stehen und... Und was? Er wollte ihr weh tun!...(- und damit auch sich selbst?) "Oh Jan, es tut mir leid,...die Dinge die ich gesagt habe...", nie würde er solche Worte von ihr hören. Sie aber auch nicht von ihm. Trotzig ballte Jan eine Hand zur Faust. ("Komm doch, komm! - Geh weg - Komm! - ha,ha,ha,ha!") Stand er jetzt nicht vor einer Entscheidung? Jan dachte an einen Spiegel aus dem ihm statt des eigenen Helens Gesicht entgegenschaute. Sollte er diesen Spiegel einfach wegdrehen? Und was passierte dann mit seinen Gefühlen, mit ihren Gefühlen? Konnte dieser Spiegel die Gefühle zurückwerfen, wie er Licht zurückwarf. Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel..., wohin würden die Gefühle gelenkt, wenn er Helens Gegenwart im Spiegel einfach wegdrehte? Und würde sie noch da sein, wenn er wieder in den Spiegel blickte? Wären die Spannungen zwischen ihm und ihr noch genauso vorhanden, wie jetzt, wie früher, wie damals, als sie frisch verliebt waren? Jan wagte nicht den Spiegel zu drehen.

Bild 10
Jan wagte nicht den Spiegel zu drehen. Helen war fähig seine Empfindungen derart zu beeinflussen, daß er nicht mehr wußte, was richtig war, daß er nicht mehr wußte, was er tun sollte. (So wie jetzt). "Sie hat meine Seele bloßgelegt", dachte er erneut. Diese Worte gefielen ihm, obwohl er nicht genau wußte, was er sich unter seiner Seele vorzustellen hatte. Irgendwie schienen diese Worte genau zu treffen, was er gerade fühlte.
Irgendeine Spitzfindigkeit, eine kleine Stichelei fand sie immer, irgend ein Wort von ihm legte sie immer falsch aus, drehte es um, verwendete es als Waffe gegen ihn. Und jedesmal war Jan versucht zu sagen:"Siehst du, was du angerichtet hast?", doch Helen würde es gar nicht sehen, und so ließ er es bleiben. Ihm blieb selbst diese kindische Befriedigung versagt.Zum Teil wegen seines eigenen Stolzes, denn er konnte es gar nicht wagen, ihr solch eine Bresche zu seinen Gefühlen aufzuzeigen, zu einem anderen Teil aber auch, weil es jene Helen, die er eigentlich ansprechen wollte, die Helen von früher, ganz einfach nicht mehr gab. Mit den Fingern schnippte Jan die Kippe der Zigarette, die er geraucht hatte, von sich.

Bild 11
Mit den Fingern schnippte Jan die Kippe der Zigarette, die er geraucht hatte, von sich, so wie er das vor Jahren als Austauschschüler drüben in England mal gelernt hatte. (Seltsam, daß ihm das gerade jetzt einfiel. Das war schon so lange her.) Die Glut schrieb einem flachen, weiten Bogen einen feurigen Wirbel in die Nacht. Doch das hätte er nicht tun sollen. Er hätte es auch nicht getan, wenn er zu den Fenstern ihrer Wohnung hochgeschaut hätte. Helen stand am Fenster und hielt nach ihm Ausschau. Und natürlich kannte sie seine Eigenart, auf der Straße ausgerauchte Zigaretten auf diese Weise loszuwerden. "Jan", rief sie."Jan. Was machst du denn da unten? Komm herauf! (Komm doch...) Die anderen warten alle auf dich. Wir wollten doch..."
("Komm doch, komm", rief ihre Gedankenstimme.) Jan überquerte die Straße.

 

© 1974/1988

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ernst-walter hug
schwäbisch hall

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