Isi 'aRa

R. Hugh

 

Triptychon: An den Grenzen der Welt - 1

 

"Alil Hinkefuß werden sie mich nennen", dachte er und biß die Zähne zusammen, denn sein Bein tat trotz des festen Verbandes ziemlich weh. Mühsam kletterte er die zwei Stufen zur Veranda hoch, einem aus ein paar einfachen Brettern und Balken zusammengenagelten Vorbau. "Frau!", rief er. "Frau!"
Doch seine Frau war nicht zu Hause. Ärgerlich warf Alil Nurasowisi die Brettertür der Hütte hinter sich zu, wollte die Veranda gerade wieder verlassen, als er sein Frau die staubige Straße heraufkommen sah.
"Wo kommst du her, Frau?", rief er, hob halb grüßend, halb drohend seinen Stock, während er sich mit der anderen Hand am Geländer abstützte.
"Ich war an der Station und habe Essen geholt."
"Hhm". Er schnaubte. Im Stillen fragte er sich, wie oft er zu Allah gebetet hatte, ihn nie so tief sinken zu lassen, daß er auf fremde Hilfe angewiesen wäre. "Wieso bist du zur Station gegangen? Ich mag nicht, wenn meine Frau bettelt. Glaubst du, ich kann nicht für den Unterhalt meiner Familie sorgen, nur weil ich einen kaputten Fuß habe?"
"Und wovon sollen wir leben?", fragte seine Frau zurück, die inzwischen herangekommen war. "Geld haben wir nicht mehr viel. Und du selbst hast dich doch in der Station pflegen lassen." Abschätzend sah sie ihren Mann an. "Sie haben dich nach Hause geschickt, eh!?"
"Ich habe nicht um Pflege gebettelt. Das hat die Rennleitung veranlaßt. Es stand im Vertrag." Energisch klopfte Alil mit seinem Stock auf den Boden. "Soweit kommt es noch, daß meine Familie bettelt", brummte er. "Ich werde wieder arbeiten."
"Kein Mensch hat zu dir gesagt, du solltest Rennen auf diesem Vogel reiten", zeterte sie. "Unser ganzes Geld, das wir so mühsam beim Häuten verdient haben, hast du in nicht mal vier Jahren verspielt. Und was hast du gewonnen?" Eine Hand theatralisch erhoben, wandte sie sich an ein Publikum, das nicht zu sehen, aber hinter dunklen Türöffnungen und Fenstervorhängen umliegender Hütten sicher vorhanden war. "Oh Allah! Einen lächerlichen Vogel hat das Mannsbild gewonnen!"
"Das Tier ist immerhin ein Renner, Frau", brummte Alil kleinlaut. "Und", fügte er seine Stimme erhebend hinzu, "es wäre eine Dummheit gewesen, es keine Rennen laufen zu lassen. Die Touristen zahlen gut dafür."
"Da hast du auch wieder recht", gab sie zu. "Aber mußtest du unbedingt selbst auf dem Vogel sitzen? Da hinauf gehören jüngere Knochen als die deinen." Sie drängte sich an Alil vorbei, stellte das Kochgeschirr klappernd vor der Hütte ab.
"Du willst damit sagen, ich sei alt?!", herrschte Alil seine Frau an. Dieses Weib würde ihn noch dazu bringen, daß er all seine Schmerzen vergaß, die letzten Kupfermünzen zusammenkratzte, nur um sich in der Stadt zu besaufen.
"Nein, Alil, das wollte ich damit nicht sagen."
Was denn sonst. Jetzt log sie auch noch. Genau das hatte sie sagen wollen. Oder... Ihm kam ein Gedanke: "Etwa unser Junge?", fragte er.
"Warum nicht? Gut reiten kann er", antwortete sie.
Darauf hätte er auch selbst kommen können. Nachdenklich, mit geschürzten Lippen betrachtete er seine Frau, die sich wieder mit dem Geschirr abmühte. Dumm war sie nicht, die Frau... "Und die Farm?", fragte er.
"Welche Farm? Glaubst du, wir hätten das Geld? Außerdem warst du doch immer gegen die Farm. Allerdings"..., sie kratzte sich mit der Linken an der Backe, wie sie das immer tat, wenn sie nachdachte, ..."das Land dieser Cilli, du weißt schon, deren Mann gestorben ist, Cilli Fanorona, das ist immer noch günstig zu haben, soviel ich weiß."
"Wir könnten den Vogel verkaufen", meinte Alil. "Die 400 für die Anzahlung würde Isi'aRa allemal bringen."
Sein Frau sah erstaunt auf. "Du willst den Vogel verkaufen? Ausgerechnet du?!" Und nach einem kurzen Augenblick: "Nein! Kommt nicht in Frage. Ich habe keine Lust, mir hinterher anzuhören, daß wir dich damit festgenagelt hätten, Alil. Ich möchte keinen Mann, der mir immer wieder vorhält, ich hätte ihn angebunden." Sie schüttelte den Kopf und strich sich mit einer Handbewegung eine Strähne Haar unter's Kopftuch zurück, die ein kräftiger Windstoß herausgerissen hatte.
Alil schaute dem Staubwirbel nach, den der heiße Wind über die Straße trieb.
"Laß uns hineingehen", sagte er.
"Nicht ohne Hintergedanken hast du den Vogel Isi'aRa genannt, fuhr sie fort. "Weißt du überhaupt noch, was das bedeutet?"
"Sicher weiß ich das, Frau. Alil Nurasowisi ist kein ungebildeter Wilder, wie seine Urgroßväter 's noch waren, und ich bin oft genug selbst so genannt worden, weil ich ständig durch die Lande zog. Dein eigener Vater hat mich hinter meinem Rücken so genannt - Isi'aRa: Wo sich Land und Sonne begegnen. Isi'aRa: der Heimatlose. Denn dieser Ort ist überall und nirgendwo."
Offenen Auges träumend blieb Alil neben seiner Frau stehen, die sich an der Feuerstelle niedergelassen hatte, auf seinen Stock gestützt, leicht nach vorn gebeugt, ein alternder, schwarzhäutiger Mann. Er war ärmlich gekleidet in ein verwaschenes, kariertes Hemd und kurze sandfarbene Hosen, die von einem Strick statt einem Gürtel aus Vogelhaut gehalten wurden, wie sich das für einen Treiber eigentlich gehörte.
"Es ist ein Wort der Städter, Alil", sagte die Frau leise. "Wir sind keine Städter. Das habe ich jetzt wieder gemerkt, wo du im Krankenhaus der Station lagst.
Weißt du", fuhr sie nach einer Weile des Schweigens fort, "ich sehne mich nach weitem Land. Hier", sie deutete ins Rund ihrer armseligen Bretterhütte, die aus nur einem Raum mit Feuerstelle bestand, "hier würden wir zugrunde gehen."
Alil schaute seine Frau stumm und mit großen Augen an. Er hatte sich schon die richtige Frau genommen. Eine richtige Treiberfrau. Fast schämte er sich des Ärgers, den er kurz zuvor über sie empfunden hatte.
"Also keine Farm", sagte er dann leise.
"Nein. Keine Farm. Ich will sie nicht mehr", bestätigte sie.
Alil nickt langsam und bedächtig mit dem Kopf.
"Die Saison hat schon begonnen. Meinst du, Alil, wir finden noch eine Herde für den Westen?", fragte die Frau, während sie das Essen aufwärmte. Alil stand dabei, schaute ihr zu. "Möglich", antwortete er. "Wenn nicht, machen wir eben den kurzen Weg hier herunter. Und im Winter lassen wir Isi'aRa laufen."
Die Tür klapperte. "Hallo Mutter... oh, Vater! Du bist zurück?"
"Ja. Sie haben mich fortgeschickt. Das Bein", mit dem Stock deutete er auf den Gipsfuß, "das haben sie fest eingebunden."
Wißt ihr, daß die Fremden die Stadt verlassen?", platzte Nazloa heraus. "Ich wollte...ähm..."
"Was wolltest du, Nazloa?"
Alils Sohn senkte den Kopf, wollte zuerst nicht weiterreden, weil er wußte, wie sein Vater über die Fremden dachte. Dann brachte er es doch über die Lippen. "Ich habe mich mit einem Chinesen-Mädchen angefreundet, während du weg warst. Wir haben Isi'aRa und unser Zugtier auf ihrer Koppel untergestellt, und ich wollte gerade..."
"Du bist befreundet mit einem dieser Mädchen von der Station, die Hungerleider und Tunichtgute füttern? Bist du nicht Manns genug..."
"Alil! Du warst doch selbst im Krankenhaus der Station."
"Ich hab' dir schon mal gesagt, Frau, das war eine Entscheidung der Rennleitung. Und mische dich nicht ein, wenn ich mit meinem Sohn spreche! Also", fuhr er an Nazloa gewandt fort, " was hast du mit einem fremden Mädchen zu schaffen?"
"Vater! Sie sind weg! Auf der Station sind nur noch Städter."
"Das wissen wir bereits. Sie haben mich aus dem Krankenhaus entlassen und nach Hause geschickt. Und Mutter war vorhin an der Station und hat euch zu essen besorgt. Setz dich und iß! Wir fahren heute noch."
"Wir haben einen Reitvogel mehr, Vater. Wei Chi-Yin hat mir ihr Tier hinterlassen. Ist doch gut, daß ich lesen kann. Hier, dieser Zettel hing am Gatter." Nazloa hielt seinem Vater ein zerknittertes, eingerissenes Stück Papier hin, das mit vielen Schriftzeichen bedeckt war. Alil beachtete es nicht.
"Das wird ein Vogel sein. Zu nichts nütze und verwöhnt. Ein Reittier der hohen Leute." Er schnaubte. "Kann dieser Vogel denn vor einem Wagen laufen?", fragte er dann.
"Wir sind ein paar mal ausgefahren und hatten ihn vor einem Zweirädrigen, Vater."
"Und?"
"Er verträgt sich gut mit unserem Zugvogel. Es ist ein gutes Tier, Vater. Freust du dich denn nicht?"
"Wei..." sprach Alil langsam und gedehnt die Silbe aus. "Wei, sagst du, hieß das Mädchen?"
"Ja. Wei Chi-Yin."
"Die Tochter der Ärztin?"
"Ich glaube schon. Genau weiß ich nicht, was ihre Eltern auf der Station getan haben. Chi-Yin ging noch zur Schule."
Alils Frau hatte auf dem Hüttenboden Kissen ausgelegt, ein Tuch ausgebreitet und Schüsseln mit dampfender Speise daraufgestellt. "Kommt jetzt, Alil, Nazloa. Das Essen ist fertig", sagte sie.
"Ich ni..., setzte Alil zu einem Widerspruch an. Aber seine Frau schnitt ihm das Wort ab. "Du ißt auch etwas, Alil. Glaubst du, im Krankenhaus hättest du etwas Anderes bekommen? Hier!" Sie schob ihm einen Schemel hin, legte ein dickes Kissen darauf. "Setz dich dahin, dann kannst du das Gipsbein ausstrecken."
Ächzend ließ sich Alil nieder.
"Nazloa", befahl er mit vor Schmerz zusammengebissenen Zähnen, "du holst die Vögel, wenn wir gegessen haben. Nimm den Wagen und binde Isi'aRa hinten fest. Den geschenkten Vogel schirrst du vorne mit ein. Mutter und ich packen zusammen bis dahin. Beeile dich mit dem Essen!"
"Ja, Vater."
Nazloa sagte immer `Ja, Vater', wie sich das für einen gut erzogenen Sohn gehörte. Aber er sah nie glücklich dabei aus. Vielleicht, überlegte Alil, lag das daran, daß sie zu lange in der Stadt gelebt hatten. Frau und Sohn waren auch zu lange allein gewesen. Müde und alt wurde man in so einem Krankenhaus. Wenn das mit dem Bein auf dem Trieb passiert wäre, hätte es auch kein Krankenhaus gegeben... und keine fremden Ärzte. Er wäre schon fertig geworden damit. Unfälle passierten eben, manchmal auch mitten im Busch.
Der Trieb. Der Trieb. Ob es wohl noch eine Herde in den Westen geben würde? Alil glaubte es eigentlich nicht. Die langen Reisen würden alle vergeben sein, wenn sie im Hochland anlangten.
Er seufzte.
Die kurzen Triebe herunter in den Osten gaben weniger Geld. Dafür waren sie auch weniger gefährlich. Im Buschland konnte wenig passieren. Nur die Wüste... Alil hoffte, daß er nicht wieder ein Viertel der Herde verlieren würde. Das hielt auf und brachte Verluste, weil man draußen die Häute abmachen mußte. Solche Häute hatten weniger Wert, weil sie schlecht konserviert waren, bis man ankam. Auch ging alles Fleisch der Tiere verloren. Und: keine Tiere, kein Geld. Doch war es ja nicht das erste Mal, daß er sich anschließend beim Häuten verdingen mußte. 248 Tiere am Tag, das war sein Rekord. Stolz dachte Alil daran, wie er diesen gegen den besten Mann einer anderen Arbeitsgruppe aufgestellt hatte. Im zweiten Jahr war das gewesen. Der Vormann hatte ihm einen extra Bonus bezahlt an jenem Tag. Aber im Spiel hatte Alil das Geld noch am selben Abend verloren.
"Frau", sagte Alil, stopfte sich eine Handvoll Essen in den Mund und sprach kauend weiter, "lade genügend Trinkwasser auf den Wagen. Fünf Tage werden wir durch die Salzwüste wohl brauchen."
"Den Wagen nehme ich doch mit, Vater, wegen der Vögel."
"Laß ihn hier. Schau lieber, ob deine chinesischen Freunde den Zweirädrigen zurückgelassen haben. Versuche auch ein Wasserfaß aufzutreiben, oder noch besser", wieder stopfte sich Alil Nahrung zwischen die Zähne, "einen von diesen haltbaren Tanks aus dem künstlichen Stoff aus Europa oder Amerika oder wo immer dieses Zeug hergestellt wird. Und fülle auch die Schläuche für die Tiere!"
*
Nazloa hatte den Eingang des Zeltes geschlossen und sich auf seiner aus hartem Hochlandgras geflochtenen Matte ausgestreckt. Draußen scharrten die angebundenen Vögel und die nächtliche Brise trieb ihr gewohntes Spiel mit Sand und Staub. Daß einem das nach so langer Zeit immer noch vertraut klang? Nazloa lauschte auf das Atmen von Mutter und die gelegentlichen Laute seines Vaters, die dieser von sich gab, wenn ihn sein schmerzendes Bein zu sehr störte. Sie schliefen beide noch nicht.
"Glaubst du", fragte er in das Dunkel des Zeltes, "es wird in diesem Jahr überhaupt Herden geben, Vater, wenn die Chinesen und Amerikaner ihren Krieg ausfechten?"
"Wie kommst du darauf?", fragte Alil zurück.
"Nun, ich habe nachgedacht, Vater. Diese Häute gehen doch zu einem großen Teil nach Übersee. Und wenn Amerika nun auf See einen Krieg...?"
"Wer sagt, daß sie ihren Krieg auf See machen?"
"Wei Chi-Yin erzählte von großen Kriegsschiffen, die die Amerikaner geschickt hätten." Nazloa richtete sich auf, stützte den Oberkörper mit Ellbogen und Unterarm ab. Aber es war zu dunkel im Zelt. Er konnte seinen Vater nicht sehen.
"Was gehen uns die Schiffe der Amerikaner an", brummte Alil. "Wir sind mitten in der Wüste. "übrigens", Nazloa hörte, wie sich auch sein Vater aufrichtete, damit sie über Mutter hinweg besser miteinander sprechen konnten, "der geschenkte Vogel macht sich ganz gut vor dem Wagen. "Und", fügte er etwas leiser hinzu, "ich würde ihn ganz gern mal reiten."
"Tut es noch sehr weh?", fragte Nazloa.
"Ach, es geht. Es juckt. Und in den Knochen spüre ich ein unangenehmes Ziehen."
"Man sagt, so etwas kommt, wenn sich das Wetter ändert, Alil", drängte sich Nazloas Mutter in das Gespräch zwischen Vater und Sohn.
"Red' doch keinen Quatsch, Frau", gab Alil zurück. "Woher soll sich hier in der Wüste das Wetter ändern? Es regnet allenfalls im Winter, alle neun oder zehn Jahre. Und? Haben wir jetzt Winter?"
Man hörte, daß Alil sich noch etwas mehr aufsetzte.
Irgendetwas war anders in diesem Jahr, das hatte Alil im Gefühl. Da war irgendetwas, das ihn störte. Mühsam drehte er sich um, krabbelte auf Knien zum Ausgang.
"Ich gehe nochmals hinaus", sagte er. "Vielleicht tut ein bißchen Bewegung dem kaputten Bein ganz gut. Und ihr: Schlaft jetzt! Wir müssen bald wieder raus. Die Nacht dauert nicht ewig."
Die Zeltbahn am Eingang hob sich kurz, klatschte mit einem leisen Geräusch wieder zurück. Humpelnde Schritte entfernten sich.
"Seltsam", hörte man Alil sagen.
"Was ist seltsam?"
"Ach nichts, Frau. Da war ein merkwürdiges Leuchten am Himmel, im Norden. Es war kurz, als sei der Mond aufgegangen, doch dann ist der Schein in einer Art Rot verglommen. Es ist nichts mehr zu sehen, jetzt. Vielleicht habe ich mich auch getäuscht. Verfluchtes Bein!"
"Was machst du denn da draußen, Alil?"
Alil war wieder ans Zelt herangekommen. "Ich vertrete mir die Beine. Und morgen werde ich versuchen zu reiten", sagte er. Ein Lächeln unterdrückend verzog er den Mund, gespannt darauf wartend, wie die Frau reagieren würde. Und wirklich: "Das wirst du nicht, Alil!"
"Werd' ich doch, Frau. Und wenn wir in ein paar Tagen zur Mine der Amerikaner kommen, werde ich mir diesen verflucht dicken Verband abnehmen lassen."
"Was sollen wir denn so weit im Norden. Die Mine liegt nicht auf unserem Weg. Wir müssen schnellstens ins Hochland."
"Du hast doch gehört. Ich lasse mir den Verband abnehmen."
"Soviel ich in der Stadt gehört habe", meldete sich Nazloa zu Wort, "läßt die Minengesellschaft keine Fremden auf ihr Gelände.
"Das kann sich ja geändert haben, Sohn. Wir waren vier Jahre nicht hier draußen. Vielleicht haben sie endlich auch die Eisenbahn für den Tiertransport geöffnet. Lange genug dauert dieser dumme Streit nun schon. Über vierzig Jahre. Mein Vater hat schon dafür gekämpft, daß wir die Herden am Fuß der Berge auf die Eisenbahn verladen können, anstatt sie quer durch die Wüste zu treiben."
"So schnell ändern die Amerikaner ihre Meinung nicht, Vater."
"Ja ja, schon gut. Und seit sie ihren Konflikt mit den Chinesen haben, sind sie auf uns ebenfalls schlecht zu sprechen, weil wir Hilfe von den Schlitzaugen annehmen. Ich kenne die Propaganda, Sohn." Alil stapfte wieder durch den Sand davon. "Aber dieser dumme Streit dauert schon viel länger."
Nazloa war ebenfalls aufgestanden, kam vor's Zelt. "Was sagtest du, Vater?", fragte er. Aber Alil gab keine Antwort.
Nein, nein. In den vergangenen vier Jahren hatten die Amerikaner ihre Meinung sicher nicht geändert bezüglich der Eisenbahn. Davon hätte man in der Stadt gehört.
Und Häute kauften die Amerikaner lieber in den Städten des Westens, denn hier im Osten war die Handelsgesellschaft eine Gründung der Chinesen. Und für Chinesen fuhr keine amerikanische Eisenbahn. Die transportierte nur das wertvolle Uranerz in den Hafen. Nichts sonst.
Und deswegen waren auch die Kriegsschiffe gekommen. "Wir haben also doch etwas mit den Schiffen zu tun, Vater", murmelte Nazloa vor sich hin.
"Was meinst du Sohn?", fragte Alil, der auf der anderen Seite des Zeltes stand und nach Norden in die Nacht starrte. Dann lauschten sie beide, noch bevor Nazloa `Ach nichts, Vater' hatte antworten können, auf ein Geräusch, das nicht zum Vertrauten gehörte.
"Seltsam. Hörst du das, Frau?"
"Was gibt's denn noch, Alil? Gib endlich Ruhe! Ich habe schon fast geschlafen."
"Hörst du?"
"Was? - Das wird der Wind sein."
"Nein, das...", Alil und Nazloa starrten angestrengt in den dunklen Himmel, woher das Geräusch kam, "...das ist eine Flugmaschine. Sie kommt näher."
"Hier über der Wüste?"
"Da, schau!" Alil hob die Hand.
"Ich bin im Zelt, wie soll ich etwas sehen", antwortete sie ärgerlich. "Was seht ihr?
"Einen großen Schatten am Himmel", antwortete Nazloa, der ums Zelt herum zu seinem Vater gekommen war. "Eine Flugmaschine", wiederholte Alil.
"Flugzeug, Vater. Sag nicht immer Flugmaschine. Das ist altmodisch."
Der Schatten dröhnte über sie hinweg. Die Vögel zerrten an den Schnüren und Isi'aRa schrie ängstlich. Die beiden Zugvögel zischten laut, beruhigten sich aber schnell, nachdem das Flugzeug verschwunden war.
"Altmodisch oder nicht", knurrte Alil, "du weißt, was ich meine, oder?"
"Ja, Vater."
"Na also. Wozu dann neue Wörter. Hast du die auf der Station gelernt?"
"Alle Leute reden so, Vater."
"Und? Hast du auch gelernt, wo dieses Flug-Zeug hingeflogen ist?"
"In die Stadt natürlich. Und es kam aus Richtung der Uranmine, aber nicht von dort. Das war ein großes Flugzeug, das dort gar nicht starten oder landen könnte."
"Sehr gut, Nazloa."
"Richtungen zu erkennen, das habe ich von dir gelernt, Vater, nicht in der Stadt."
Alil war zu den Vögeln hingehumpelt, nachzuschauen, ob alles in Ordnung war. Die Vögel steckten bereits wieder die Köpfe in die Futtersäcke.
"Und fahren wir wirklich zur Mine?", fragte Nazloa, der ihm gefolgt war. "Meinst du, sie nehmen dir dort dein Gipsbein ab?"
Alil zuckte mit den Achseln. "Die Amerikaner haben schließlich auch Ärzte", sagte er. "Na ja, vielleicht nicht so gute wie Doktor Wei, aber ..." Er brach ab und begann zum Zelteingang zu humpeln. "Ach nichts, Junge. Gehen wir schlafen. Es kommt starker Wind auf, und das ist hier draußen ungesund für Augen und Haut. Komm!"
Sie krabbelten zurück ins Zelt und streckten sich, Alil etwas umständlich wegen des eingebundenen Beines, auf ihren Matten aus.
"Gute Nacht, Vater", wünschte Nazloa.
"Gute Nacht, Sohn. Frau? Schläfst du schon?"
"Gute Nacht! Vielleicht schlaft ihr bald. Wenn in ein paar Stunden die Sonne aufgeht, hab' ich sonst Mühe, euch wach zu kriegen. Ich schwör euch, ich trinke meinen Tee alleine.

© 1985/89/94

product verlag
ernst-walter hug
schwäbisch hall

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